Donnerstag, 17. November 2011

"Faszyzm nie przejdzie!" - Nazi-Blockade Polish Style

Etwas verspätet... egal!

Sonntag, 13. November, 10.15 Uhr. Ich sitze in einem  knallroten Bus, in den ebenfalls knallroten Sitz aus Plastikleder gekuschelt (wirklich sehr bequem) und fahre von Warschau Richtung Berlin. Der Bus ist zwar rappelvoll, aber das wird sich hinter Poznań sicher ändern – auf der Hinfahrt hatte ich zwischen Berlin und Poznań quasi den Bus fast für mich alleine. Sogar das WiFi funktioniert. (Anders als auf der Hinfahrt.) Was für ein Luxus!
Wieder mal nach Warschau. Aber das erste Mal mit dem Bus. Dauert zwar ein bisschen länger als mit dem Berlin-Warschau-Express (10 ½ Stunden...), ist dafür aber auch ungleich viel billiger. Und man kann die schöne polnische Landschaft und die Bauarbeiten an der Autobahn beobachten. Letzteres zumindest auf den ersten Kilometern hinter der Grenze, dann ist es damit auch wieder vorbei. Ob das was wird mit Polen und der Autobahn bis zur EM? Ich glaube es ja nicht... Und die neue U-Bahn-Linie in Warschau? Und überhaupt, die Stadien?  (Das in Warschau ist jetzt glaube ich sowas wie fertig...)
Aber in den Stadien ist die EM ja ohnehin nicht besonders willkommen. Sowohl in Polen als auch in der Ukraine wüten die Hooligans jetzt schon über die Fußballfans, die von überall her in ihre Stadien strömen werden. Wie soll man denn da in Ruhe seine Prügeleien während und nach dem Spiel führen? Und überhaupt... Auf einmal interessiert sich die polnische Politik für die Hooligans. Die würden bei der EM natürlich einen sehr schlechten Eindruck beim internationalen Publikum hinterlassen. Also versucht man, ihrer schon jetzt Herr zu werden. Wohl das nächste aussichtslose Vorhaben...
Die polnischen Hooligans... Ein Thema für sich. Eine in höchstem Maße politische Szene. Eine in höchstem Maße rechtsextreme Szene. Bis auf zwei sind alle Fanclubs der ersten und zweiten Liga politisch, und zwar rechts. Sagt Jacek Purski von der antirassistischen Initiative “Nigdy Więcej“ (“Never Again“). In den Stadien schwingen sie Flaggen mit rechtsextremen Symbolen, von der Schwarzen Sonne bis hin zum Hakenkreuz. Sie brüllen rassistische und antisemitische Parolen. Um andere Fußballclubs herabzusetzen, wird ihr Logo in einem Davidsstern an Wände gesprüht. Die Hooligans tragen ihre Hass gegen Ausländer, Homosexuelle, Juden und eigentlich jede andere Subkultur offen zur Schau. Und leider sind auch brutale Übergriffe keine Seltenheit.
Auch wenn diese in Polen kaum in offiziellen Statistiken erfasst werden. Warum? Die Politik interessiert sich nicht besonders für rassistisch motivierte Gewaltverbrechen. Doch Gott sei Dank wachsen in Polen die NGOs wie zum Beispiel die Gruppe “Nigdy Więcej“, die sich unter anderem dieser Aufgabe angenommen haben.
Und noch eine Aufgabe haben diese und andere Gruppen übernommen. Und damit kommen wir nun zu einem der Gründe, warum ich gerade im (knallroten) Bus sitze.
Freitag war der 11. November. Das heißt, in Polen war ein gesetzlicher Feiertag. Um genau zu sein: Der polnische Nationalfeiertag. Gefeiert wird die Zweite Polnische Republik, ausgerufen 1918. Und an diesem Tag findet in Warschau seit den Neunziger Jahren ein „Marsch der Unabhängigkeit“ statt. Klingt schön, nicht wahr? Was sich dahinter verbirgt, ist die größte Nazi-Demo Polens. Letztes Jahr marschierten zwei- bis dreitausend Flaggen schwingende und Parolen skandierende Menschen durch die Stadt. Und dieses Jahr? Zehntausend... Ihr Ziel ist für gewöhnlich das Denkmal Roman Dmowskis. Dmowski war an der Gründung der Zweiten Republik beteiligt. Seine Ideen von einem unabhängigen Polen eckten jedoch mit denen Piłsudskis an – noch konservativer, noch nationalistischer. Ein ethnisch und religiös homogenes Polen; polnisch und katholisch.
Zurück zum Polen der Gegenwart. Es wäre nun verkehrt, zu sagen, dass da zehntausend Nazis marschiert sind. Dass die Marschierenden aber allesamt zum nationalistischen Lager gehören, kann man wohl sagen. Dass sie fremdenfeindlich sind auch. Gegen die Gleichberechtigung von Homosexuellen und die Emanzipation der polnischen Frauen. Wenn das nicht schon Genug Grund zum Protest ist.„Polska jest tylko biała („Polen ist nur weiß“) – das ist einer der oft gehörten Slogans an diesem Tag.
Warum unternimmt seit Jahren niemand etwas gegen diese Demonstrationen? Nun, dass niemand etwas unternimmt, stimmt so nicht. Die Politik unternimmt nichts. Und das verwundert nicht, wenn man sich die polnische politische Landschaft mal etwas genauer anguckt.
Die politische Rechte ist in Polen erschreckend akzeptiert. Neben der im Untergrund agierenden faschistischen Szene gibt es viele öffentlich-politische Akteure, die dem nationalistischen Lager zuzuordnen sind. Und dabei geht es nicht nur um kleine Randgruppen. Die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS), die mit Lech Kaczyński bis Oktober 2007 die Regierung stellte, fällt selbst mit populistischen und nationalistischen Äußerungen auf. Und nicht nur das. Die Partei schloss auch Koalitionsverträge mit der Liga Polnischer Familien (Liga Polskich Rodziń, LPR), einer katholisch-nationalistischen Partei, die offen gegen Juden und Schwule hetzt. Auch ist die LPR einer der Mitorganisatoren des Marsches am 11. November. Ebenfalls beteiligt sind Gruppierungen wie die Partei Nationale Wiedergeburt Polens (Narodowe Odrodzenie Polski, NOP), das Nationalradikale Lager (Obóz Narodowo-Radykalny, ONR) oder die rechtsextreme, militante Jugendorganisation Allpolnische Jugend (Młodzież Wszechpolska). Namen, die einen aufhorchen lassen.
 Und die Partei, die vergleichbar ist mit den deutschen Grünen? Die bekommt in Polen unter einem Prozent der Stimmen.
Doch trotzdem stellen sich Menschen diesem Aufmarsch in den Weg.
In den letzten Jahren hat sich ein netzwerkübergreifendes Bündnis gebildet, mit dabei die Gruppe ”Never Again”. Ihr Ziel ist es, den Aufmarsch den Nazis keinen Raum zum Marschieren zu bieten. Zu blockieren. Ähnlich, wie dies seit mehreren Jahren am 14. Februar in Dresden geschieht. Und się haben Erfolg. Vor zwei Jahren nur ein kleiner Haufen Demonstranten, gingen letztes Jahr bereit 4000  Menschen auf die Straße. Die Nazis konnten ihre geplante Route nicht beibehalten. Die Menschen jubelten.
Dieses Jahr war ich nun also mit dabei. Beinahe so was wie ein Zufall. Ich wollte eh nach Warschau fahren, um Ania zu besuchen. Und nach intensivem Studium unserer beider Terminkalender hat sich herausgestellt, dass dieses Wochenende eigentlich das einzige ist, das uns beiden passt. Und ein bisschen später ist mir aufgefallen, dass ich dann ja am 11. November in Warschau bin. Passend.
Und noch passender, dass meine Freundin Agnieszka und ihre Freunde auch zu der Blockade wollten. So war ich nicht alleine.
Also, wie sah das aus?
Wir waren leider recht wenige – vielleicht 2000 Gegendemonstranten. Ein bunter Wagen mit Rednern, viele pinke Tücher, eine sehr nette Sambagruppe, ein Strandball, Musik. Reden werden gehalten. Polens Unabhängigkeit ist bunt, die Faschisten kommen nicht durch. „Ich bin hier, weil ich glaube, dass ein freies Land in der Lage sein muss, freundlich gegenüber allen Menschen zu sein“, sagt Agnieszkas Freundin Sonja. „Und weil ich an einem friedlichen Protest teilnehmen wollte.“
Auch Politiker sind vertreten. So etwa der erste schwule Abgeordnete Polens, Roman Bierdron, oder die weltweit erste transsexuelle Abgeordnete Anna Grodzka (und das in Polen!). Auch sonst ist die Menge erfreulich bunt gemischt – wenn man ihr auch eine Zugehörigkeit zur gebildeten, eher links ausgerichteten Bevölkerung nicht absprechen kann. Aber hier stehen Politiker neben Antifaschisten, Hetero- neben Homosexuellen, Studenten beobachten, wie zwei ältere Damen fröhlich mit ihren Transparenten im Kreis tanzen. Sogar „Bella Ciao“ gibt es auch auf polnischen Demos, wie ich zu meiner Begeisterung festgestellt habe. Alles wie bei uns.
Auch die Polizisten sehen aus wie bei uns: Sie sind ganz viele, dick gepanzert, haben, haben Schutzschilde und Pfefferspray-Pistolen dabei und irgendwo im Hintergrund stehen die Wasserwerfer. Aber Moment mal: Da gibt es doch einen Unterschied!
In diesem Fall zeigen die Wasserwerfer nicht auf die Gegendemonstranten, sondern auf den eigentlichen “Marsch der Unabhänigkeit“. Weil dieser wie gesagt nicht nur aus „harmosen“ Nationalisten besteht. Man hat sich Verstärkung geholt: Aus dem Ausland und vor allem aus den polnischen Fußballstadien.  Und die Hooligans, die hier mit marschieren, haben es eigentlich nur darauf angelegt, sich endlich prügeln zu dürfen. An die Gegendemonstranten kommen sie aber nicht heran, die Polizei steht im Weg. Macht nichts, mit denen kann man sich ja auch prügeln. Und so eskaliert an diesem tag die Gewalt, ohne dass wir bei der Gegendemo davon in besonderer Weise betroffen sind. Der Marsch muss umgelenkt werden, später die Nachricht: Der Marsch bleibt zwar legal, doch die Versammlung der Nationalisten ist inzwischen für illegal erklärt worden. Doch am Denkmal Dmowskis brodelt es, Steine fliegen, Streifenwagen brennen.
Das alles habe ich nicht live miterlebt (Gott sei Dank...) Aber als ich nach Hause kam, saß Ania vor dem Fernseher und hat die Nachrichten verfolgt. Und bis tief in die Nacht (um halb 1 hab ich dann den Fernseher irgendwann ausgemacht....) waren die polnischen Nachrichten voll von den Ereignissen des Tages. Scheinbar hat niemand mit einem solchen Ausgang gerechnet. 210 Menschen wurden verhaftet, davon 92 Deutsche (es ist nicht ganz klar, zu welcher Seite die gehörten... Mal hört man, die deutsche Antifa sei für große Teile der gewaltsamen Ausschreitungen verantwortlich, dann wieder heißt es, sie seien gleich bei der ersten Gelegenheit verhaftet worden, um ihnen keine Möglichkeit zu geben, gewalttätig zu werden. Und auch die Anwesenheit deutscher Nazis bei dieser Demo würde ich jetzt per se mal nicht ausschließen....), 40 verletzte Polizisten, jede Menge zerbrochener Scheiben, zwei ausgebrannte Übertragungswagen des polnischen Fernsehsenders tvn, und und und....
Doch vielleicht... ja, vielleicht bewegt das jetzt etwas im Bewusstsein der polnischen Öffentlichkeit. Und der Politik. Vielleicht ist die stundenlange Berichterstattung ein erstes Zeichen. Vielleicht hat man jetzt endlich erkannt, dass es in Polen durchaus ein Problem mit Rechtsextremismus gibt, und das dagegen etwas getan werden muss.
Zumindest soll jetzt schon mal etwas am Demonstrationsrecht geändert werden. Bisher war es in Polen – anders als in Deutschland – nicht verboten, bei Demonstrationen sein Gesicht zu Vermummen. Und auch Feuerwerkskörper waren legal. Nun denkt Ministerpräsident Donald Tusk darüber nach, dies zu ändern.
Ich kann mich noch nicht ganz entscheiden, was ich von der ganzen Sache halte.
Zum einen ist es traurig, dass die Gegendemo dieses Jahr nur etwa halb so groß war, wie 2010. Agnieszka und ihre Freunde meinen, das liegt wohl daran, dass letztes Jahr einige Leute doch ordentlich was abbekommen haben. Deswegen sind Viele dieses Jahr vorsichtiger, haben Angst. Zum anderen finde ich es erschreckend, wie dieser “Marsch der Unabhängigkeit“ innerhalb eines Jahres von 3000 auf 10000 Menschen anwachsen konnte (in dem Zusammenhang ist die schrumpfende Gegendemo noch beängstigender).
Ein sehr deutlicher Unterschied zwischen der polnischem Gegendemo und dem, was wir so aus Deutschland kennen, war wohl auch das Ziel. Die Blockade wollte erreichen, dass die Nationalisten von ihrer geplanten Route abweichen müssen. Das haben sie geschafft. Es ging aber nicht darum, den Marsch gar nicht vorankommen zu lassen. Natürlich, das geht auch nicht ohne Zusammenstöße. Und die würde ich glaube ich bei den Relationen auch tunlichst vermeiden wollen... Und es ist gut, dass es diesen Protest gibt. Ich drücke die Daumen, dass er auf fruchtbaren Boden fällt. Wir werden sehen. Zumindest waren die Nachrichten bis spät in die Nacht voll mit Bildern der Ausschreitungen und Kommentaren von vielen verschiedenen Seiten - Organisatoren, Gegner, Politiker, Journalisten, und so weiter. Das ist neu. Vielleicht bewirken die Ereignisse dieses Tages ja tatsächlich etwas, im Bewusstsein der Politiker und vor allem im Bewusstsein der Gesellschaft. Bisher war man ja davon ausgegangen, Polen habe kein Problem mit Fremdenhass, mit Rassismus und Antisemitismus. Und nun stellt man auf einmal fest, dass es keinesfalls die deutsche Antifa war, die sich hier aus lauter Polenfeindlichkeit mit der polnischen Polizei geprügelt hat (Wie das Herr Jarosław Kaczyński ja sofort hat verlauten lassen), sondern eben polnische Rechte. Hoffen wir, dass das auf Dauer etwas bewegt.

So, das war mein großes Abenteuer dieses Wochenende. Und drumherum noch ein bisschen Spazieren in der Warschauer Novembersonne (ja, ich bin auch überrascht, aber es gibt sie), Grzane Wino (Glühwein) im W Oparach Absurdu (meiner allerliebsten Warschauer Lieblingskneipe :)  ), Piwo (Bier) im Plan B (die gehört auch mit auf die Liste der liebsten Kneipen!) und ein sehr sehr leckeres Frühstück in einem neuen Laden, dem „Chleb i Wino“ (Brot und Wein). Und spätestens als wir da drin waren, war die Erkenntnis nicht mehr zu leugnen: Auch Warschau ist voller Hipster.

2 Kommentare:

  1. Alles treffend, jedeoch solltest du mit Begriffen wie "nationalistisch" etwas vorsichtiger umgehen. Der polnische oder der israelische sog. "Nationalismus" hat eine ganz andere Grundlage als der klassiche ("kolonial") Nationalismus von Hitler, Mussolini usw.

    Es ist höchst verletzend Dmowski oder die Polnische Rechte in eine Reihe mit klassischen Neonazis zu stellen. Die polnische "Rechte" um Dmowski starb in Auschwitz und rette tausende Juden.

    http://www.rp.pl/artykul/310783.html

    Und kein polnischer oder israelischer Rechter will andere Völker "kolonialisieren", rassisch gleichschalten oder gar töten. Sie waren vielmehr Opfer solcher Politik. Ein Dmowski hatte 123 Jahre lang keine Heimat.

    Und, daß sich Politiker der Stadionschläger und ihrer idiotischen Parolen, deren bedeutung sie nicht wirklich kennen, nicht annehmen hat rein ökonomische Gründe. Man läßt den Jugendlichen ein Ventil, weil es so bequemer und billiger ist, als ihnen Jobs zu geben oder Jugendzentren zu bauen. Egal ob in Lublin oder in Leipzig...

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  2. hm, ich würde nochmal genauer lesen! Da steht nirgends, dass ich die gesamten 10000, die da marschiert sind, mit NAZIS gleichsetze. Nationalisten sind sie aber. Fremdenfeindlich sind sie auch. Aber ich denke, ich hab doch recht deutlich geschrieben, dass es die Hooligans waren, die hier geprügelt haben wie die wilden. An keiner Stelle habe ich geschrieben, Dmowski sei genau so einzuordnen wie die "klassischen Neonazis". Aber dass er das nicht ist, macht ihn ja nun noch nicht zum unangreifbaren Nationalhelden, oder? (Darf ich noch fragen, wer du bist?)

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