Montag, 19. November 2012

Prozess gegen Journalisten in der Türkei auf Februar vertagt


- Forderungen der Anwälte abgelehnt - Hungerstreik nach offiziellen Angaben beendet -
In der Türkei ist die zweite Woche der Anhörungen gegen 44 Journalisten zu Ende gegangen. Ihnen wird vorgeworfen, Mitglieder der „Union der Gemeinschaften Kurdistans“ (KCK) und somit einer terroristischen Organisation zu sein. Mehrere internationale Beobachter waren beim Prozess anwesend, unter anderem der Vorsitzende der Europäischen Journalistenföderation Barry White.
Die fünf Prozesstage dienten die vor allem der teilweisen Verlesung der 800 Seiten umfassenden Anklageschrift. Am Montag hatte das Gericht mit der Verlesung begonnen. Dies geschah jedoch in Abwesenheit von Publikum, Anwälten und Angeklagten. Das Gericht hatte zuvor dem Angeklagten Kenan Kırkaya das Wort verweigert, als dieser sich zum Hungerstreik in türkischen Gefängnissen äußern wollte. Dies war für den Prozess von Bedeutung, da sich die inhaftierten Journalisten selbst im Hungerstreik befanden. Letztendlich verließen Angeklagte und Anwälte aus Protest den Saal, das Gericht fuhr alleine mit dem Prozess fort.
Anwalt Sinan Zincir forderte deswegen nach Angaben der Firat News Agency (NFA) am Dienstag, die am Vortag behandelten Seiten erneut zu verlesen. Dazu habe aber aus Sicht des Gerichtes kein Grund bestanden, da die Anwälte und Angeklagten dem Prozess aus freiem Willen ferngeblieben seien. Zudem berichtete NFA, Zincir habe das Gericht gefragt, warum die inhaftierten Hungerstreikenden am Vortag nach Ende der Anhörung nicht wie sonst mit Zucker und Salz versorgt worden seien. Dem Gericht zufolge habe die Gefängnisaufsicht erklärt, dies sei ihres Erachtens nach nicht nötig. Die Gefangenen bräuchten nur Wasser, da sie Salz und Zucker in Form von Kerzen, die sie nachts in ihren Zellen äßen, zu sich nähmen.

Am Ende der Woche formulierten die Anwälte ihre Forderungen. Sie wiesen erneut daraufhin, dass ein Großteil der Beweise gegen ihre Mandanten rechtswidrig zustande gekommen sei. Telefone seien abgehört und Emails abgefangen worden. Außerdem sei höchst fraglich, ob die anonymen Zeugen, auf deren Aussagen die Anschuldigungen zum größten Teil beruhen, überhaupt existieren. Die Anwälte erklärten wiederholt, sie seien durchgehend in polizeilicher Bürokratensprache verfasst. Anwalt Ramazan Demir erklärte, die Aussagen sollten von einem Professor für Kommunikationswissenschaften analysiert werden. Mit dieser Aussage unterstrich er, wie unglaubwürdig die Beweise in den Augen der Anwälte sind.
Die Verteidigung forderte deswegen, die Identität der geheimen Zeugen preiszugeben und die rechtswidrigen Beweismittel aus der Anklageschrift zu entfernen. Zudem forderten sie, das Justizministerium solle über den Hungerstreik ihrer Mandanten informiert werden. Richter Ali Alçık wies ihre Forderungen zurück. Über diese Dinge sei bereits im September entschieden worden, eine erneute Entscheidung sei also unnötig, so das Gericht. Letztendlich wurden nach Angaben der Zeitung Evresel die beiden Inhaftierten Çiğdem Alsan und Oktay Candemir freigelassen und der Prozess auf den 4. Februar 2013 vertagt.

Von den hungerstreikenden Angeklagten hatten sich fünf Dem Protest von Beginn an angeschlossen. Der Gesundheitszustand der Streikenden in türkischen Gefängnissen hatte sich in der letzten Woche immer mehr verschlechtert. Laut offiziellen Angaben befanden sich zuletzt 1700 Gefangene im Hungerstreik, einige davon inzwischen seit beinahe 70 Tagen. Andere Quellen sprechen von etwa 10000 Hungerstreikenden. Diese drastische Maßnahme, die den Forderungen nach einem Ende der Isolationshaft von PKK-Führer Abdullah Öcalan und dem Recht auf Bildung und Verteidigung in Kurdisch Nachdruck verleihen soll, wurde für die türkische Regierung zu einem immer größeren Problem.
Premierminister Erdoğan behauptete bei seinem Besuch in Berlin Anfang November, der Hungerstreik sei eine Lüge und existiere real gar nicht. Zeitgleich berichtete aber Justizminister Sadullah Ergin seiner deutschen Amtskollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, dass aktuell 683 Gefangene in 66 türkischen Gefängnissen die Nahrungsaufnahme verweigerten.

In der türkischen Stadt Izmir kam es Ende letzter Woche zu einer Demonstration von Angehörigen der Hungerstreikenden. Diese forderten ein sofortiges Einlenken der Regierung. Viele Mütter von Inhaftierten schlossen sich dem Protest an. Sie forderten eine Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts und appellierten dabei vor allem an das Gefühl der Menschen.  Hazal Suncak, die selbst Angehörig im Gefängnis hat, erklärte der Onlinezeitung Bianet: „Wir wollen nicht, dass junge Menschen in diesem Land sterben. Weder die in den Bergen noch die im Militär. Die  Mütter haben genug gelitten. Wir rufen die Regierung an, wir rufen alle an.“

Samstag Abend nahm der Hungerstreik eine überraschende Wendung. Öcalans Bruder Mehmet Öcalan hatte an diesem Tag den PKK-Führer auf der Insel Imralı besucht, wo er seit 1999 in Isolationshaft sitzt. Laut türkischen Medien habe dieser ihm den Auftrag gegeben, die kurdischen Gefangenen und Politiker zum sofortigen Ende des Hungerstreiks aufzurufen. „Diese Aktion hat ihr Ziel erreicht. Sie sollten den Hungerstreik unverzüglich beenden“, so die Worte Abdullah Öcalans.
Daraufhin seien Abgeordnete der pro-kurdischen Partei BDP in verschiedene Gefängnisse gegangen, um die Botschaft Öcalans bekannt zu geben.
Laut Angaben der Zeitung Turkishpress beendeten im Gefängnis von Buca, einem Vorort von İzmir, 520 Inhaftierte ihren Hungerstreik sofort, nachdem ihre Anwälte ihnen die Botschaft überbracht hatten. Die türkischen Medien erklärten den Hungerstreik am Sonntag, den 18. November 2012 für beendet.

Donnerstag, 15. November 2012

„Im Gerichtssaal wird ein Theater aufgeführt, aber ohne Publikum“

Diesen Montag wurde in einem Vorort von İstanbul der KCK-Prozess gegen 44 Journalisten forgesetzt. 38 von ihnen sind seit Monaten ohne Verurteilung in Haft. Eben diese 38 haben sich auch dem Hungerstreik in türkischen Gefaengnissen angeschlossen. 5 von ihnen haben seit über 60 Tagen keine Nahrung zu sich genommen. Und was tut das türkische Gericht? Es verhandelt lieber für sich alleine. Ohne Publikum, ohne Anwaelte und ohne Angeklagte. Es waere laecherlich, wenn es nicht so traurig waere.

Ich bin am ersten Prozesstag nach Silivri gefahren, um mir dieses Trauerspiel anzusehen. Hier meine Beobachtungen vom 12.11.201, veröffentlicht auf der Website der Deutschen Journalistinnen und Journalisten-Union (DJU) in ver.di 
 
„Im Gerichtssaal wird ein Theater aufgeführt, aber ohne Publikum.“
Fortsetzung des Prozesses gegen 44 Journalisten in Istanbul.


Es ist ein sonniger Wintertag in der türkischen Stadt Silivri, einem Küstenort etwa 80 km entfernt von Istanbul. Den meisten Bewohnern der Großstadt ist er vor allem als willkommener Ausflugsort für einen Tag am Strand bekannt. Doch nur wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt wurde am heutigen Montag der Prozess gegen 44 überwiegend kurdische Journalisten fortgesetzt. 38 von ihnen befinden sich seit Monaten in Haft. Ihnen wird vorgeworfen, Mitglieder einer terroristischen Organisation zu sein. Es handelt sich dabei um die KCK, den zivilen Arm der Arbeiterpartei Kurdistands (PKK). Überschattet wird der Prozess, der Mitte September vertagt wurde, vom Hungerstreik der Inhaftierten.
Gerichtsgebäude in Silivri
Der erste von fünf angesetzten Prozesstagen endete jedoch sehr schnell. Das Gericht kam nicht über die Überprüfung der Anwesenheit hinaus. Wie auch zu Beginn des Prozesses antworteten die Angeklagten mit „Ez li virim“, „Ich bin hier“ auf kurdisch. Und ebenso wie zu Prozessbeginn tat Richter Ali Alçık so, als habe er das nicht bemerkt. Auch ihre Adresse gaben die meisten Angeklagten in ihrer Muttersprache an. Manche von ihnen sagten jedoch statt dessen „Ez weger daxwazim“, „Ich möchte einen Übersetzer“. Auch hier reagierte der Richter mit den Worten „Das ist Ihre Adresse. Setzen Sie sich.“ Er ließ sich scheinbar durch nichts von der vorgesehenen Prozedur abbringen.
Als der Angeklagte Kenan Kırkaya sich jedoch erhob und ankündigte, er wolle zum Hungerstreik Stellung nehmen, verweigerte Alçık ihm das Wort. Dieses Thema habe mit dem Prozess nichts zu tun.

In der Türkei befinden sich zur Zeit mehrere Tausend inhaftierter Kurden im Hungerstreik. Um ihren Forderungen nach dem Recht auf Ausbildung und Verteidigung vor Gericht in Kurdisch und dem Ende der Isolationshaft des PKK-Führers Abdullah Öcalan Nachdruck zu verleihen, traten sie am 12. September in den Hungerstreik. Einige von ihnen haben seit über 60 Tagen keine Nahrung zu sich genommen. Viele weitere Inhaftierte schlossen sich in den letzten Wochen dem Streik an.

Kırkaya bestand im Gerichtssaal darauf sich zur Sache zu äußern. Als andere Angeklagte in in der Diskussion mit dem Richter unterstützten, drohte dieser, Kırkaya aus dem Saal bringen zu lassen. Daraufhin erhoben sich alle Angeklagten und erklärten, sie werden den Raum gemeinsam verlassen. Der Richter reagierte darauf mit einer Unterbrechung der Verhandlung für 15 Minuten und einer Räumung des gesamten Gerichtssaales. Unter dem Applaus der Zuschauer verließen die Angeklagten den Raum.

Damit war der öffentliche Teil der Verhandlung für diesen Tag jedoch beendet. Das Gericht erklärte, aufgrund des Protestes im Publikum sei dieses nun im Saal nicht mehr zugelassen. Die Anwälte protestierten, die Angeklagten weigerten sich, unter diesen Umständen zurückzukehren. Letztendlich verließen auch die Anwälte das Gericht als Zeichen des Protestes. Dieses setzte die Verhandlung alleine fort.
„Im Gerichtssaal sind keine Anwälte, keine Angeklagten und keine Zuschauer, nur der Richter und die Staatsanwaltschaft. Und die lesen sich die Anklageschrift jetzt selber vor“, erklärte Eren Keskin, eine der Anwältinnen. Sie erklärt, alle 38 inhaftierten Angeklagten seien im Hungerstreik, fünf von Ihnen schon seit dem ersten Tag. Ihnen gehe es dementsprechend schlecht, sie hätten sehr stark abgenommen. Als ihre Mandanten sich vor Gericht erklären wollten, sei Ihnen dieses Recht abgesprochen worden. In diesem Verfahren gehe es um Journalisten, aber in der Türkei würden Kurden aller Professionen kriminalisiert. „Die kurdischen Rechte sind seit der Gründung der Republik außer Kraft“, so Keskin.
Pervin Bulda, Abgeordnete der pro-kurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP) erklärte, die Forderungen der Angeklagten seien alle angemessen, die Türkei würde den Menschen aber keine Möglichkeit bieten, dafür einzutreten. Damit werde gegen die Prinzipien des Rechtsstaates verstoßen. Man müsse den Weg bereiten für Veränderung, hin zu Frieden, Demokratie und Menschenrechten. Auch Bulda verurteilt die Entscheidung des Gerichts: „Im Gerichtssaal wird ein Theater aufgeführt, aber ohne Publikum, ohne die Anwälte, und ohne die Angeklagten.“ 
Pressekonferenz der Anwälte
Unter den Beobachtern des Prozesses war auch Belma Yıldıztaş mit ihrer sechs Monate alten Tochter Zerya Zin. Ihr Mann, der 30-jährige İsmail Yıldız, ist einer der Angeklagten. Die Vorwürfe gegen ihn beruhen – wie so viele andere auch – auf rechtswidrig aufgezeichneten Telefonaten, abgefangenen Emails und widersprüchlichen anonymisierten Zeugenaussagen. Angeblich sei er der Presseverantwortliche der Terrororganisation gewesen. Als freier Journalist hatte Yıldız für verschiedene Zeitungen berichtet, darunter auch die in der Türkei verbotene Fırat News Agency, die ihren Sitz in den Niederlanden hat.
Belma Yıldıztaş
„Der Staat weiß nicht, was er tun soll“, erklärte Belma. „Deswegen wird der Prozess immer weiter hinausgezögert und verlängert. Solange der Staat keine Entscheidung trifft, können wir nur warten.“ Seit Dezember letzten Jahres sei ihr Mann im Gefängnis. Die Geburt seines Kindes habe er nicht miterlebt. Sollte er verurteilt werden, drohen ihm bis zu 12 Jahre Haft.
Seit einer Woche befindet auch Yıldız sich im Hungerstreik. Seine Frau lehnt diese Form des Protests kategorisch ab. Sie erklärte außerdem, ihr Mann und viele andere hätten sich aus Solidarität angeschlossen. „Die meisten von ihnen streiken nicht dauerhaft. Sie hungern für etwa zehn Tage, dann machen sie eine kurze Pause.“ Um Yıldız’ Gesundheit sei sie deswegen nicht besorgt.

Anders ist die Lage der Hungerstreikenden, die seit über 60 Tagen die Nahrungsaufnahme verweigern. In der Stadt Siirt im Südosten der Türkei sind heute die ersten vier Streikenden in den Krankenhaustrakt des Gefängnisses verlegt worden. Sie waren zu schwach, um mit ihren Anwälten zu sprechen.
Fethi Bozçalı ist Vorstandsmitglied der türkischen Ärztekammer. Sie wollen eine Gruppe von Ärzten in die Gefängnisse schicken, um die Gefangenen zu betreuen. Seit einem Monat versuchen sie schon, die Erlaubnis dafür zu bekommen. Bisher ohne Erfolg. „Man schickt uns vom Justizministerium zum Oberstaatsanwalt zum Gefängnis und wieder zurück “, so Bozçalı. “Wir sprechen uns für das Recht auf Leben aus, wir wollen wegen des Hungerstreiks keine Menschen sterben sehen. Was wir wollen sind Lösungen, keine Toten.”
144 Hungerstreiktote habe es in der Türkei seit den 1980ern gegeben. Er selbst war bei den Streiks 1996 und 2000 als Arzt bei den Hungernden. Ihm zufolge ist es schwer, die mögliche Höchstdauer eines solchen Protests in Tagen zu fassen. „Ich habe schon Menschen nach dem 50. Tag sterben sehen. Vielmehr wird die Situation kritisch, wenn die Streikenden 15% ihres ursprünglichen Körpergewichts verloren haben.“
Ob die Ärzte in die Gefängnisse dürfen, ist immer noch unklar. Bozçalı ist besorgt. „Ich habe Menschen in meinen Händen sterben sehen. Aber dieses Mal ist es anders. Dieses Mal lassen sie niemanden hinein.“
 
 

Donnerstag, 27. September 2012

Knebel für die Pressefreiheit - die KCK-Verfahren in der Türkei

Ihr Lieben,
aus organisatorischen und ehrgeizigen (wenn auch unbegründeten) Gründen, bekommt ihr diesen Text erst jetzt hier zu lesen. Geschrieben habe ich ihn schon vor zwei Wochen. Aber ich wollte erst versuchen, ob ich ihn irgendwo unterbekomme. War nicht so.
Wie manche von euch wissen, war ich vom 9. bis zum 12. September in Istanbul. Ein echter  Kurztrip. Der Grund war der Prozess, von dem ich euch hier berichten will. Ich hatte das große Glück, mich einer deutschen Delegation bestehend aus Vertretern der DJU in ver.di, der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Parte Die Linke. und mehreren Journalisten als Prozessbeobachter anschließen zu dürfen. Nicht nur der Prozess selbst war sehr... aufschlussreich. Wir haben außerdem viele interessante Menschen und Organisationen getroffen, die mit uns über das Thema Pressefreiheit in der Türkei gesprochen haben. Was dabei herauskam, könnt ihr hier lesen:


Im Machtkampf um die Meinungsfreiheit: Massenprozess gegen Journalisten in der Türkei

Ihnen drohen bis zu 22 Jahre Haft, weil sie ihre Arbeit getan haben: Artikel geschrieben, recherchiert, Bericht erstattet. Am Montag, den 10. September 2012, standen in der türkischen Stadt Istanbul 44 Journalisten vor Gericht, die meisten von ihnen Kurden. 36 von ihnen sitzen seit Monaten in Untersuchungshaft. Ihnen wird vorgeworfen, Mitglieder der terroristischen Organisation KCK zu sein. Die KCK – Union der Gemeinschaften Kurdistans – gilt als der zivile Arm der PKK. Seit 2009 laufen gegen sie Verfahren in der Türkei, im November 2011 kam es zu einer großen Verhaftungswelle. Insgesamt sind in der Türkei 97 Journalisten in Haft.
Es ist schlecht bestellt um die Pressefreiheit in dem Land, das viele Deutsche vor allem mit weißen Sandstränden in Antalya oder buntem Großstadtleben in Istanbul in Verbindung bringen. Laut einer Statistik über Pressefreiheit von Reporter Ohne Grenzen befindet sich die Türkei im Jahr 2011 auf Platz 148 von 179.

Der Prozess gegen die Journalisten ist nur eines der KCK-Verfahren in der Türkei. Die Zahlen sind erschreckend. Laut dem türkischen Justizministerium sitzen insgesamt etwa 1000 Menschen in Untersuchungshaft. Kurdischen Aktivisten zufolge sind es um die 8000. Viele von ihnen sind Intellektuelle, Journalisten, Akademiker, Politiker.
Ein Prozess, der in den Medien einen Skandal auslösen muss. Sollte man meinen. Doch die türkischen Medien berichten kaum darüber. Zu stark wirkt der Druck, den Regierung und Verleger auf die Journalisten ausüben. Oftmals handelt es sich um Selbstzensur. Die Verleger sind zugleich Unternehmer und von ihren wirtschaftlichen Beziehungen zur AKP-Regierung unter Ministerpräsident Erdogan abhängig. Und so kann für die Journalisten jeder geschriebene Satz, der die Regierung kritisiert, die Kündigung mit sich bringen. Wenn es denn dabei bleibt: Eine Journalistin im aktuellen KCK-Verfahren steht vor Gericht, weil sie über sexuelle Übergriffe bei der türkischen Fluggesellschaft Turkish Airlines berichtet hat. Der Vorwurf: Verunglimpfung des türkischen Staates.

Eine Situation, die der Vorsitze der türkischen Journalistengewerkschaft TGS, Ercan Ipekci, als empörend empfindet. „Diese Journalisten haben keine Waffe in die Hand genommen, sie haben niemanden umgebracht. Sie haben nur ihre Arbeit getan.“ Das Problem sind die Anti-Terror-Gesetze in der Türkei. Dort sind die Begriffe „Terrorismus“ und „Terrorist“ so offen definiert, dass eigentlich alles auf sie zugebogen werden kann. „Irgend etwas findet sich immer, um einen Journalisten wegen Terrorismus anzuklagen“, so Ipekci.
Der Menschenrechtler und Verleger Ragip Zarakolu erklärt, in keinem Land gäbe es so viele „Terroristen“ wie in der Türkei. Tausende und Abertausende sähen sich dieses Vorwürfen ausgesetzt. „Diese Situation ist für mich als Menschenrechtsaktivisten nicht akzeptabel“. Zarakolu ist selbst des Terrorismus angeklagt, ebenso sein Sohn Deniz.

Enttäuschte Hoffnungen im türkisch-kurdischen Konflikt

Ipekci erklärt, die AKP habe ihre Ideologie zur Staatsmeinung erhoben. Sie habe die ersten Jahre ihrer Amtszeit genutzt, um ihre Macht zu konsolidieren und Bündnispartner zu finden. Dies war auch die Zeit, in der es schien, als gäbe es Hoffnung im Konflikt mit der kurdischen Bevölkerung. Doch seit den Wahlen 2011 verschlechterte sich die Situation wieder rapide. Dann kamen die Verhaftungswellen im November 2011 und die Prozesse gegen die pro-kurdische Bewegung 2012. In den letzten Wochen eskaliert der bewaffnete Konflikt, beinahe täglich kommt es zu Zusammenstößen mit zahlreichen Toten zwischen den Kämpfern der PKK und dem türkischen Militär im Südosten des Landes.
„Es gilt jetzt, für Presse- und Meinungsfreiheit gegen eine übermächtige Regierung zu kämpfen“, erklärt Ipekci mit ernster Miene. „Unsere Journalisten zahlen dafür einen hohen Preis. Sie werden verprügelt, verhaftet und umgebracht. Der eigentliche Kampf ist es, dieses Thema in den Vordergrund zu rücken.“ Er bezieht sich dabei nicht nur auf eine Diskussion in der türkischen Öffentlichkeit. Ipekci sieht eine große Notwendigkeit darin, die internationale Öffentlichkeit zu informieren. 

Das Foyer des Justaizpalastes in Istanbul.

Machtdemonstrationen vor Gericht

Der Prozessauftakt selbst gleicht eher einem Machtspiel denn einem fairen Prozess. Schon das Gerichtsgebäude ist eine Demonstration der Macht. Stockwerk über Stockwerk erheben sich Galerien, die eine enorme Eingangshalle umschließen. Nach mehreren Sicherheitskontrollen kann man endlich den von Uniformierten bewachten Gerichtssaal betreten. Dieser wiederum hat von der Größe her eher Ähnlichkeit mit einem Klassenzimmer als einem Saal, der Platz bieten soll für 44 Angeklagte, ihre Anwälte und Zuschauer.
So kommt es, dass tatsächlich nicht genügend Stühle für die über 50 Anwälte vorhanden sind. Als diese sich weigern, der Aufforderung des Richters nachzukommen und sich in den Zuschauerraum zu setzen, wird die Verhandlung kurzerhand für zwei Stunden unterbrochen und der Saal geräumt. Während die Angeklagten aus dem Saal geführt werden, rufen sie und winken ihren Freunden und Verwandten im Publikum zu.
Als der Prozess letztlich startet, kommt sofort eines der heikelsten Themen auf den Tisch. Bei der Kontrolle der Anwesenheit antworten die Angeklagten mit „Ez li virim“, „Ich bin hier“ auf Kurdisch. Die kurdische Kultur wird in der Türkei stark unterdrückt, Kurdisch als Sprache ist vor Gericht nicht zugelassen. Meist wird in einer solchen Situation protokolliert, der Angeklagte habe in einer „unbekannten Sprache“ geantwortet. Erstaunlicherweise protestiert der Richter in diesem Fall nicht. Er akzeptiert die kurdischen Antworten aber auch nicht. Am Ende des Vorgangs erklärt er bloß, das Gericht habe gesehen, dass alle Angeklagten anwesend sind.
Anschließend bringen die Anwälte ihre Anträge vor. Sie kritisieren die türkischen Sondergerichte, welche die Terrorismus-Verfahren seit dem Jahr 2005 leiten, in ihren Augen aber weder unabhängig noch objektiv sind. Zudem zeigen sie sich empört über die Umstände des Verfahrens. Der kleine Raum ist ihrer Meinung nach ein Mittel, Zuschauer vom Prozess fernzuhalten und somit eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit zu erschweren. Unter diesen Umständen sei ein gerechtes Verfahren nicht möglich. Weiterhin fordern die Angeklagten das Recht ein, sich in ihrer Muttersprache verteidigen zu dürfen.
Auch am zweiten Prozesstag geht es noch um juristische Verfahrensfragen. Die Anwälte erklären, viele der Beweise in der 800-seitigen Anklageschrift seien haltlos und durch polizeiliche Maßnahmen zustande gekommen, die gegen geltendes türkisches Recht verstoßen. Es seien Privatgespräche abgehört und illegale Hausdurchsuchungen durchgeführt worden. Bei diesen seien nicht einmal Waffen oder anderes belastendes Material gefunden worden. Das einzige, was die Polizei habe mitnehmen können, waren Texte, Fotos und Videos. Dinge, die man in der Wohnung eines Journalisten erwartet.
Ein Großteil der belastenden Zeugenaussagen beruht auf so genannten „geheimen Zeugen“. Sie treten nicht im Gerichtssaal auf und können somit auch nicht zu ihren Aussagen befragt werden. „Diese Aussagen lesen sich wie ein Fantasy-Roman“, so einer der Anwälte. „Sie sind außerdem alle in einer bürokratischen Polizeisprache gehalten.“ Dies bezieht er sowohl auf die Aussagen als auch auf das, was ihnen zufolge die Journalisten angeblich gesagt haben. Die Anwälte bezweifeln die Echtheit dieser Zeugen. „Vor kurzem musste die Polizei in einem anderen Verfahren in der Stadt Van zugeben, dass sie Zeugen erfunden hat“, erklärt der Anwalt Ramazan Demir. Für ihn ist ein solcher Massenprozess längst nichts Ungewöhnliches mehr. „Es ist schlimm, dass etwas so Außergewöhnliches hier zur Normalität wird.“
Die Anwälte bezeichnen die Anklageschrift in ihrer Gesamtheit als nicht hinnehmbar: „Wäre diese Anklageschrift die Arbeit eines Jura-Studenten im ersten Jahr, seine Dozenten würden ihn durchfallen lassen.“ Der Menschenrechtsanwalt Ercan Kanar erklärt, es handle sich hier um einen politischen Prozess, in dem es um die Grenzen der Pressefreiheit und das Recht der Menschen auf Information gehe. Die AKP greife gezielt die freie Presse in der Türkei an. Ein anderer Anwalt zeigt sich überzeugt, dass die „Methoden des totalitären Staates auf ihn selbst zurückfallen werden.“

Protest vor dem Gerichtsgebäude: "Lasst die geiseln frei"  "Beginnt die Verhandlungen"

Am Nachmittag des zweiten Prozesstages kommt es im Gerichtssaal zu einem Tumult. Die Anwälte werfen dem Gericht vor, sie respektlos und von oben herab zu behandeln. Die Stimmung wird immer angespannter, das Publikum beginnt aus Protest zu rufen und zu klatschen. Der Richter lässt abermals den Saal räumen und kündigt an, den Prozess am nächsten Tag unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortzusetzen. Zudem würden alle, die geklatscht hätten, mit Hilfe der Überwachungsbilder identifiziert und selbst rechtlich belangt werden.

Knebel als Zeichen des Protests

Laut einem Bericht von Reporter ohne Grenzen verkündete das Gericht am Donnerstag, dass keiner der Angeklagten aus der Untersuchungshaft entlassen werde. Alle 36 Inhaftierten müssen bis zur Prozessfortsetzung in etwa zwei Monaten im Gefängnis bleiben. Außerdem werde der Prozess etwa 100 Kilometer von Istanbul entfernt vorgesetzt. Die Anwälte sehen hierin eine weitere Maßnahme, um die öffentliche Kontrolle der Prozesse zu behindern. Die Anträge der Anwaltschaft hat das Gericht sämtlich abgelehnt. Es wird nicht nur keine Entlassungen geben, sondern ebenso keine Diskussion über die Zulässigkeit der Anklagepunkte und kein Recht auf Verteidigung in der Muttersprache Kurdisch. Nach der Verkündung dieses Beschlusses klebten sich die Angeklagten aus Protest schwarze Streifen auf den Mund und drehten sich mit dem Rücken zum Gericht. Sie werden in den kommenden Verhandlungen wohl schweigen. Das Wort haben ihre Anwälte.


Donnerstag, 27.09.2012; Nachtrag:

Das Gericht hat beschlossen, doch noch zwei Angeklagte aus der Untersuchungshaft zu entlassen: Çağdaş Ulus von der türkischen Tageszeitung Vatan und Cihat Ablay, der für die Fırat Vertriebsgesellschaft arbeitet.
Immerhin etwas?
Diese Woche im Zuge der KCK-Ermittlungen noch einmal beinahe 40 Menschen verhaftet, darunter Politiker der BDP, Journalisten und Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation İnsan Hakları Derneği (İHD).

Und falls ihr mehr lesen wollt: Die Berichte von Joachim Legatis auf der Seite der DJU



Die Protestierenden zeigen Bilder der Inhaftierten.


Mittwoch, 1. August 2012

So weit die Füße tragen

Istanbul!

Seit einer Woche bin ich wieder hier, und noch eine Woche mehr. So ungefähr... Am Montag werde ich mich mit einem lachenden und einem weinenden Auge ins Flugzeug nach Berlin setzen.
Aber eigentlich vor allem lachend. Das Abschiednehmen fällt nicht so schwer - in drei Monaten bin ich ja schon wieder hier! (Und zwar mit Leonardo Stipendium, jeeeha!)
Ich will euch gerne ausführlich von meiner Reise berichten, aber das wird wohl noch ein bisschen auf sich warten lassen - ein Monat ist lang, und besonders ein Monat auf Reisen ist nicht in 5 Minuten erzählt. Und das ganze dann aufzuschreiben... ei ei ei!
Aber hier will ich euch einen ersten Eindruck geben!

Ich bin von Istanbul aus am Schwarzen Meer entlang gefahren, bin bei Freunden von Freunden untergekommen, bin couch gesurft, bin mit zwei verrückten Spaniern gehitchhiked, habe die Grenze nach Georgien überquert und habe die ungemütlichste Nacht meines Lebens in einer Marshrutka, einem georgischen Minibus verbracht. Ich habe alte Bekannte in Tbilisi getroffen, bin in die Berge nördlich von Kutaisi gefahren und habe mit einer Menge Hippies den Vollmond bestaunt und Musik gemacht und mit Juan ein fantastisches Picknick am Strand von Kobuleti veranstaltet - mit dem Essen, dass uns ein von unserer Begeisterung für sein Land begeisterter Georgier geschenkt hat. Wir haben  die Cay-Felder (Tee-Felder) und -Fabriken in der nordöstlichsten Ecke der Türkei bestaunt, sind in Erzurum von einem Mann zu Cay und Keksen in sein sehr alters und sehr schönes Haus eingeladen worden, in eine Polizei-Kontrolle (auf der Suche nach PKK-Terroristen) geraten und haben letztendlich mit zwei netten LKW-Fahrern in ihrem LKW übernachtet. Ich bin nach Malatya gefahren, habe Mount Nemrut bestaunt, in Dogansehir die süßeste Großmutter der Welt kennen gelernt, habe in Iskenderun geschwitzt und eine Hochzeit gefeiert, Künefe gegessen und mir in Antakya die älteste Kirche der Welt angeguckt. Ich habe Mersin gesehen und bin mit dem Boot von Tasucu nach Zypern gefahren. (Die fahren da auf der linken Seite Auto!) Ich habe das gefühl, auf einer geteilten Insel und in einer geteilten Stadt zu sein, als sehr seltsam empfunden und Schweinefleisch gegessen - während in der Türkei der Ramazan (Ramadan) losging. (Ha ha!) Letztendlich bin ich mit einem Bus zurück nach Istanbul gefahren, was nur 15 Stunden gedauert hat. Und dann habe ich in Istanbul einfach jeden wieder getroffen... Ein paar übrig gebliebene Erasmus Studenten, einen Haufen Leute, die ich in den georgischen Bergen getroffen habe, alte Freunde, neue Freunde, und jetzt: faste ich. Einen Tag Ramazan für Dinah! (Das mit dem Essen ist nicht so das Problem, aber.. wieso darf ich bei über 30°C nichts trinken??? noch 3 Stunden...)


Also.
Bis ich euch ausfühlrich berichte und eine Menge Fotos zeige:
Hier seht ihr, wohin meine Füße mich im letzten Monat so getragen haben. Fragt nicht nach den Blasen, die ich im Laufe der Wochen so erdulden musste. Aber meine Füße (und ich) sind sehr glücklich und voller Energie! Jippiiee!

Bis bald!



So weit die Füße tragen - As far as my feet will carry me

Mittwoch, 20. Juni 2012

Hadi görüşürüz, Istanbul!

Was soll man dazu sagen. Gerade eben war noch Ende Januar - und jetzt ist Mitte Juni schon vorbei!
Das waren sehr kurze 5 Monate. Sehr intensive 5 Monate. Und außerdem 5 Monate, in denen ich viel mehr in diesen Blog hätte schreiben können - aber dann war ich viel zu sehr damit beschäftigt, schon wieder das nächste Abenteuer zu erleben.
Das nächste Abenteuer steht jetzt kurz bevor: Ich breche in 2 Tagen die Zelte in Istanbul ab und mach mich auf den Weg durch die Türkei. Was da auf mich wartet, weiß ich noch nicht so genau... Ein bisschen Karadeniz (Schwarzes Meer), ein bisschen Georgien vielleicht? Auf jeden Fall tanze ich auf einer türkischen Hochzeit in Hatay. In Iskenderun, um genau zu sein. Auch bekannt als Alexandretta. ("Spricht hier jemand Altgriechisch?!") Und dann? Mittelmeer und Ägäisches Meer, denke ich. Auf dem Weg zurück nach Istanbul. Wo ich mich dann am 6.8. (hört hört! Wer kommt mich abholen?) in ein Flugzeug von Pegasus Airlines quetsche, mit meinem schon im Vorraus auf 30kg (hört hört! Wer kommt mich abholen?) aufgestockten Gepäck, und mich auf den nach Berlin mache.

Viele von euch wissen es ja schon, aber hier noch einmal die offizielle Ankündigung: Ich komme nur zu Besuch nach Deutschland! Ende Oktober komme ich zurück nach Istanbul, um ein dreimonatiges Praktikum bei einer NGO namens "TOG" zu machen. Ausgeschrieben heißt das zungenbrecherisch "Toplum Gönüllüleri Vakfı" (deutlich einfacher auf Englisch: "Community Volunteers Foundation").
TOG ist eine Jugend-NGO, die sich vor allem dafür einsetzt, jungen Leuten Engagement in der Zivilgesellschaft nahezubringen und ihnen zu zeigen, welche Möglichkeiten, Rechte und Verantwortungen sie haben. Also eine "Wir helfen euch, selbst was aufzubauen"-NGO. Sehr gute Sache, das! Falls es wen interessiert: http://www.tog.org.tr/EN/


Und sonst - was gab es so die letzten Monate?
Ein Schnelldurchlauf:

Viel Schnee auf vielen Hügeln in Istanbul
Viel Klettern auf eben diese vielen Hügel
Deswegen gestählte Oberschenkel

Den be- und verzaubernden Bosporus (und Millionen Fotos von Fährenfahrten)



Die Feststellung, dass in der Türkei JEDE Stadt für etwas berühmt ist - und, dass es sich dabei immer um Essen handelt

Tagesausflüge in Orte wie Edirne (berühmt für Leber) und Bursa (berühmt für Iskender Kebab)



Viel Besuch von vielen lieben Leuten

Tausende von Basarbesuchen 



Viel Fluchen über den horrend teuren Alkohol in der Türkei

Unentwegtes Kopfschütteln über die verrückte und empörende Art und Weise, wie in Istanbul "Stadterneuerungsprojekte" umgesetzt werden

 

Eine Reise ins "wilde Kurdistan", nach Mesopotamien, zwischen Euphrat und Tigris (Fırat und Dicle) - eine Woche Diyarbakır, Hasankeyf, Midyat, Savur, Dara und jede Menge Eindrücke, Begegungen, Freundschaften

Musik an jeder Ecke

 

Ungemein viele nette, mal versteckte und mal sehr offensichtliche tolle Cafés und Kneipen

Eine große 1. Mai Demo in Taksim



Die Angewohnheit, Çay ohne Zucker zu trinken, um nicht am Zuckerschock zu sterben

Jede Menge Balık Ekmek (Fischbrötchen)

Jede Menge Baklava
(Und die Feststellung, dass hier sogar die Baklava politisch ist) 



Jede Menge Essen allgemein 
 
Viele neue Freunde von so quasi überall her

Darin inbegriffen fantastische Mitbewohner :) 



Eigentlich waren hier viele viele Fotos, aber die Technik sabotiert mich...

Bei diesen Eindrücken und den frischen Erinnerungen an einen fantastischen Geburtstag gestern - mit Kuchen zum Kerzenausblasen, Geburtstagsständchen, viel Musizieren und lauter lieben Menschen - will ich es erst einmal belassen. Fotoalben folgen, und noch mehr Geschichten wollen erzählt werden. Aber da ich nicht glaube, dass ich das vor Freitag schaffe, muss diese "Sparversion" erst einmal herhalten... Mit diesen Worten verabscheide ich mich also wahrscheinlich bis August. Von Menschen, die hier was lesen wollen, vor allem aber von Istanbul und den Menschen hier, vom Erasmus-Leben und von diesem Abschnitt meines Lebens. 

Auf ein Neues!
Da bleibt nur noch eins zu sagen, und zwar das schönste Türkische Wort überhaupt:

Gürültülü!

Mittwoch, 13. Juni 2012

„Ich wünsche mir, dass wir Menschen die Menschlichkeit respektieren.“ - Zwei junge Syrer berichten in Istanbul

Ich habe hier in Istanbul zwei junge Leute aus Syrien getroffen. Und was die von zuhause erzählen, ist mehr als schwer mit anzuhören. Ich habe mich mit beiden getroffen. Eigentlich sollte das ein Artikel für die Zeitung werden, aber dann kam ich nicht dazu, das schnell genug fertigzumachen... was mich sehr ärgert, weil ich es sehr wichtig gefunden hätte. Ich hab es aber jetzt endlich fertig geschrieben und will es euch trotzdem zeigen. Was ihr hier lest, geht auf Gespräche zurück, die ich im März geführt habe. Seitdem ist natürlich viel passiert, was hier nicht mit eingeflossen ist. Ich danke Maya und Mothana noch einmal sehr herzlich und entschuldige mich dafür, so lange gebraucht zu haben.

Der 29-jährige Mothana sitzt in einem Café in der Istanbuler Innenstadt. Sein Heimatland Syrien, in dem der ehemalige Generalsekretär der UN und jetzige Sondervermittler für Syrien gerade vor einem Bürgerkrieg warnt, hat er  im Juli 2011 verlassen müssen. Es war die einzige Möglichkeit für ihn, nicht zum Militärdienst eingezogen zu werden. „Die letzten sieben Jahre habe ich versteckt gelebt“, sagt Mothana mit bedrücktem Gesicht. In Syrien gibt es die so genannte „Verweigerung aus Gewissensgründen“ nicht. Man kann aber seinen Militärdienst aufschieben, indem man studiert und die entsprechenden Nachweise seiner Universität vorlegt. Das hat Mothana seit dem Jahr 2000 getan. Erst studierte er Sport, dann Agrarwirtschaft. Doch als er die Universität wechselte, um IT zu studieren, kam es zu Problemen. „Sie wollten nicht akzeptieren, dass die Bescheinigung nun von einer anderen Universität kam.“ Die syrischen Behörden wollten, dass Mothana seinen Militärdienst antritt. Doch das kam für ihn nicht in Frage. „Ich glaube nicht an die Idee des Militärs. Und ich will mein Studium zu Ende bringen.“ Also tauchte er ab. „Das war alles, was ich tun konnte. Ich musste mich verstecken. Das Land konnte ich nicht verlassen.“ Denn als volljähriger Mann kann man in Syrien ohne ein Dokument von den Behörden, dass entweder bestätigt, dass man seinen Militärdienst absolviert hat, oder, dass man dies noch tun wird, keinen Pass bekommen, erklärt Mothana. Und da die Behörden ihm dieses Dokument nicht mehr ausstellten, entschied er, sich zu verstecken. „Natürlich war das eine harte Entscheidung. Du wirst eine unsichtbare Person! In Syrien brauchst du dieses Dokument um zu studieren, um zu heiraten, für alles.“ Zunächst wohnte er in der Wohnung seines Bruders. Dann lebte er in einer Wohnung, deren Vertrag auf den Namen eines Freundes lief. Im November 2010 hat Mothana es schließlich nicht mehr ausgehalten. „Ich wollte aufgeben. Ich wollte zum Militär gehen uns sagen: Hier bin ich, ich  mache meinem Militärdienst! Und dann geschah ein Wunder: Der Beamte sah einen 28hährigen, gebildeten und erfahrenen jungen Mann vor sich. Und er drückte mir ein Papier mit einem Stempel in die Hand und sagte, ich hätte 9 Monate, um das Land zu verlassen.“ So kam Mothana vor fast einem Jahr in die Türkei. Aber da er nicht nach Syrien zurückkehren kann, um ein Studentenvisum zu beantragen, kann er sein Studium nicht fortsetzen.
Die andauernden Kämpfe in Syrien sind für den jungen Syrer eine Qual. Als sich in Tunesien im Dezember 2010 der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi selbst verbrannte, dachte Mothana nicht, dass daraus eine Revolution werden würde. Aber es geschah, und die Revolution breitete sich nach Ägypten aus. „Ich war so froh für sie. In diesen Ländern gab es eine zweigeteilte Gesellschaft, keine Mittelklasse, und mein Land entwickelte sich in die selbe Richtung. Ich wünsche mir die selbe Revolution für Syrien.“ Hier, in gemütlicher Café-Atmosphäre und mit einem Glas starkem türkischem Schwarztee vor sich, berichtet Mothana, wie man in Syrien fast niemandem wirklich vertrauen konnte. Immer die Angst, der Gegenüber sei ein Spion. „Selbst vor meinen Freunden konnte ich nicht alles sagen.“ Und Worte konnten zu Beginn der Unruhen in Syrien tatsächlich dramatische Folgen haben. Mothana berichtet über die Geschehnisse in der südsyrischen Stadt Daraa. Kinder schrieben Forderungen nach dem Sturz des Regimes an Wände, wurden daraufhin verhaftet und gefoltert. „Sie haben den Kindern die Fingernägel ausgerissen. Und zu den Vätern, die ihre Kinder zurückforderten, haben die Polizisten gesagt: ‚Nein, macht lieber neue Kinder. Und wenn ihr es nicht könnt, machen wir das für euch.’ Ich habe das nicht selbst gehört, aber mein Bruder und viele meiner Freunde dienten in Daraa.“
Folter ist Mothanas Berichten zufolge gängige Praxis in syrischen Gefängnissen. „Es ist normal für sie, Gefangenen die Nägel auszureißen. Im Gefängnis siehst du keine Sonne. Sie benutzen Elektroschocks zur Bestrafung und Verletzte werden nicht behandelt. Sie müssen ihre Wunden selbst mit Nadel und Faden in ihren Zellen nähen. Wenn du aus politischen Gründen im Gefängnis bist, nennen wir das ‚verhaftet hinter der Sonne’. Keiner weiß, wo du bist, und keiner kann nach dir fragen.„
Ähnliches weiß die 23-jährige Maya aus Damaskus zu berichten. Sie kam nach Istanbul, um ihren familiären Wurzeln nachzuspüren und zu arbeiten. Das war Anfang 2012. Von übervollen Gefängnissen spricht sie und davon, dass Menschen nach einigen Wochen entlassen werden, weil Platz für neue Gefangene gemacht werden muss. Manche Gefangenen werden aber auch einfach in ihren Zellen vergessen. „Die Zellen sind so klein und so voll, da ist kein Platz, um einen Finger zu rühren. Und es gibt keine Toiletten. Freunde von mir haben erzählt, dass die Menschen dort 50cm hoch im urin stehen... Kannst du dir das vorstellen?“ Maya spricht von Vergewaltigungen, von körperlicher Gewalt auf mehr als erniedrigende Art und Weise und von Elektroschocks, die quasi schon zur Tagesordnung gehören. „Sie foltern auf allen Ebenen, physisch, psychologisch, sogar kulturell...“
Dass er jetzt in der Türkei ist, macht Mothana hilflos. In Syrien auf der Straße zu demonstrieren, kann dazu führen, dass man nicht mehr nach Hause kommt. „Aber ich kann nichts tun. Ich bin hier in Istanbul zu Demonstrationen gegangen, aber ich kann nicht nach Syrien zurück. Sie würden mich verhaften. Ich will aber meine Freiheit einfordern! Ich will mich nicht kontrollieren lassen.“ So bleibt Mothana nichts anderes übrig, als die westlichen Medien und die der Opposition zu verfolgen. Aber was davon wirklich der Wahrheit entspricht, ist schwer zu sagen. Er ist enttäuscht. „Die Medien sind so wichtig, aber Journalisten dürfen nicht frei berichten. Und die illegalen Journalisten, die es doch getan haben, sind jetzt tot. Die Regierung versteckt, was passiert. Sie zeigt leere, friedliche Straßen. Aber ich spreche jeden Tag mit meiner Familie. Neulich, als ich mit meiner Schwester telefoniert habe, konnte ich im Hintergrund die Schüsse hören.“
Und dann berichtet er von einem Ereignis, dass sich vor einigen Monaten in seiner Heimatstadt Aleppo ereignete und dass einen an die aktuellen Geschehnisse dort erinnert. Ein Zahnmedizinstudent, Freund eines Freundes von Mothana, wurde von der Armee getötet. Daraufhin kam es zu Protesten, tausende Studenten demonstrierten und forderten ihre Freiheit. Das Militär rückte ins Universitätsgebäude ein, zerstörte Klassenräume und ging gewaltsam gegen die Protestierenden vor. „Sie verhafteten zwölf Studenten und prügelten auf dem gesamten Weg zum Gefängnis auf sie ein. Aber nur elf Studenten kamen auch dort an. Einen verprügelten sie so brutal, dass er bewusstlos wurde. Sie hielten ihn für tot und warfen ihn einfach vor das Al-Razi Krankenhaus.“ Dort wurde er gefunden. Mothana berichtet, wie der junge Mann nach dreistündiger Operation wegen Hirnblutungen nun in eben diesem Krankenhaus im Koma liegt. Was aus den anderen elf Demonstranten wurde, kann er nicht sagen.
Im Internet kursieren viele Videos, die das brutale Vorgehen des Militärs gegen die syrische Bevölkerung zeigen. Doch ob diese Videos die Wahrheit darstellen, oder ob sie inszeniert sind, wird heiß diskutiert. Immer wieder gibt es Vorwürfe, die Freie Syrische Armee würde gefälschtes Material in Umlauf bringen und so die Weltöffentlichkeit täuschen. Mothana ist entrüstet über diese Zweifel aus Ländern wie Deutschland. „Zehntausende wurden umgebracht, und es sterben noch immer Menschen. Als es hieß, Bin Laden sei tot, hat man das geglaubt. Aber für das, was in Syrien passiert, will Europa immer noch Beweise. Während die Politiker auf ihren Stühlen sitzen und reden, werden auf der Straße Menschen getötet. Sie warten, bis jeder tot ist, bevor sie es glauben.“
„Kannst du dir vorstellen, dass es jetzt schon mehr als ein Jahr ist?“ fragt Maya. Auch sie kann nur schwer eine Situation akzeptieren, in der ein Präsident derart gegen seine eigene Bevölkerung vorgeht. Und wie lange das Töten noch so weitergehen kann, weiß sie nicht. „Ich will Syrien nicht total zerstört sehen, bis er geht.“ Dass Assad gehen wird, ist für sie klar – aber wann? „Für die Familien in Syrien wird nichts mehr so sein wie zuvor.“
Was die Zukunft für Syrien bringen wird, kann auch Mothana nicht sagen. Er wünscht sich eine wirklich demokratische Regierung, in der die vielen Religionen und ethnischen Gruppen Syriens zusammenleben können. Wo junge Leute das Land nicht mehr verlassen müssen, um ein Leben nach ihren Vorstellungen leben zu können. „Ich wünsche mir, dass wir Menschen die Menschlichkeit respektieren.“

Montag, 21. Mai 2012

Nazi-Orden sind "unsere Geschichte und Kultur" - Da läuft doch was schief!

Man sollte meinen, in Deutschland hätte man aus der Vergangenheit und den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges gelernt. Das trifft offenbar nicht auf alle zu. Bei einem Spaziergang über den Antik- und Trödelmarkt in der Alsfelder Hessenhalle wurden Zweiter-Weltkriegs-Souvenirs von Landser-Heften bis zu Hakenkreuz-Orden dargeboten.
Auf Flohmärkten findet man so allerhand – Schönes, Hässliches, Altes, Kitschiges. Erinnerungsstücke quer durch die Epochen. Darunter auch Epochen, an die man sich eigentlich lieber nicht erinnern möchte – doch das anscheinend nicht einmal aus Versehen.
An mehreren Ständen waren uns Gegenstände aufgefallen, die den deutschen Militarismus glorifizieren und dabei auch die Wehrmacht mit einbeziehen. Diese lagen ganz selbstverständlich zwischen Kuckucksuhren und Kaffeemühlen. Nicht einfach vorbeilaufen konnten wir dann, als wir an einem Stand in der vordersten Tischecke einen Stapel Landser-Hefte entdeckten. Das hat uns schrecklich verärgert und wir fragten den Herrn am Stand, ob er sich dessen denn gar nicht schäme. Dieser dachte jedoch gar nicht daran. „Wieso denn?“ Ganz unschuldig konnte er sich jedoch nicht fühlen – immerhin drehte er das oberste Heft um, so dass der Titel nicht mehr zu lesen war. Den Rest des Tisches bedeckten unterschiedlichste Orden – viele davon Eiserne Kreuze. „Das ist ja wohl Erster Weltkrieg, nicht Zweiter,“ so der Verkäufer. Wir sollten gefälligst richtig hingucken. Militarismus ist also nur dann ein Problem, wenn es sich um Nationalsozialismus handelt und deswegen gesetzlich verboten ist?
In der Zwischenzeit kamen unsere Mutter und unsere aus den USA und Israel angereisten Tanten dazu. Wie der Verkäufer gefordert hatte, schauten wir etwas genauer hin. Und siehe da: In einer Schachtel lagen – sorgsam mit dem Bild nach unten gelegt – Nazi-Orden mit Hakenkreuzen und Reichsadler. Auch der eigentliche Besitzer des Standes war inzwischen aufgetaucht. Als er unsere 70-jährige Tante diese Orden betrachten sah, schubste er sie aggressiv mit dem Ellbogen zur Seite. In der Zwischenzeit rief jemand von uns bei der Polizei an. Es gebe hier einen Stand, der Nazi-Orden, also verfassungsfeindliche Symbole, öffentlich anbiete, ob die Herren sich das nicht mal anschauen wollten. Jetzt hieß es also warten. Der Besitzer wurde derweil sichtlich nervös und fing an, bestimmte Gegenstände unter den Tisch zu nehmen. Als wir uns weiter umsehen wollten, fuhr er uns an, wir sollten die Finger von seinen Sachen lassen. Auf unsere Anmerkung, dass er diese ja wohl verkaufen wolle, entgegnete er: „Nein. Ich verkaufe das nicht. Das ist eine Ausstellung.“ Die Nazi-Orden verkaufte er angeblich auch nicht. „Die habe ich für mich gekauft. Die liegen hier nur.“
Als die Polizei dann eintraf, wollte der Verkäufer erst gar keine Orden gehabt haben. Erst, als wir mehrfach wiederholten, dass diese sich inzwischen unter dem Tisch befänden, rückte er sie zähneknirschend heraus. Auch seine Personalien konnte er zunächst nicht aufnehmen lassen – die Dokumente hatte er nämlich im Auto. Da konnte er allerdings nicht hin, er könne ja seinen Stand nicht mit uns alleine lassen. „Ich habe hier Wertgegenstände.“
Der Betreiber des Antikmarktes nahm das Problem durchaus zur Kenntnis, sah sich aber außerstande, wirksam dagegen vorzugehen. Als wir am Montag im Messebüro Rode anriefen, erklärte er, mit den vorhandenen Mitteln seien die Markstände nicht umfassend zu kontrollieren. Dafür müsse man mehr Eintritt verlangen. Allerdings würde dann das Publikum ausbleiben. „Wenn wir sehen, dass jemand sich nicht an die Gesetze hält, dann sorgen wir selbst dafür, dass die Polizei kommt.“ Offenbar reichen dafür aber oft die Kapazitäten nicht aus. Deswegen sei es ja gut, dass es Leute wie uns gäbe, wir könnten ja nächsten Sonntag auch noch einmal nachgucken gehen.
Dinge, die nicht gesetzeswidrig sind, interessieren den Betreiber nicht. „Über Schönheit kann man streiten, und wir haben da auch keine Handhabe.“
Erschreckend waren vor allem die Reaktionen der Menschen um uns herum. Nicht nur, dass bisher scheinbar niemand Anstoß daran genommen hatte. Nein, der Mann bekam sogar Unterstützung. „Machen sie dir Ärger wegen der Landser-Hefte? Lass dich nicht ärgern.“ Und ein langhaariger, bärtiger Mann in Motorradkluft bot an: „Willst du sie vom Tisch haben? Ich kauf sie dir ab.“ Und die Frau am Nachbarstand bekundete sogar entrüstet: „Das ist unsere Geschichte und Kultur.“ Dass wir mit dem Umgang mit dieser Geschichte und Kultur ein Problem haben, fand sie scheinbar ganz unbegreiflich.
Der Vollständigkeit halber muss gesagt werden, dass es auch andere Reaktionen gab. Zwei Frauen waren mit der Auslage des Standes ebenso wenig einverstanden wie wir. „Manche Menschen sind so doof.“
Allerdings ist es doch traurig, dass ausgerechnet zwei junge Frauen mit jüdischem Familienhintergrund diejenigen sind, die so etwas nicht kommentarlos hinnehmen. Das wäre die Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft. Auch traurig, dass der Besuch unserer Tanten, die ihre Großeltern in Auschwitz verloren haben, so endet. „Dass so etwas im Jahr 2012 in Deutschland noch passieren kann,“ sagt unsere Tante nur kopfschüttelnd.






Montag, 27. Februar 2012

Hollywood im Schnelldurchlauf

Es ist Sonntag. Nacht. In Istanbul. Zwei einsame Gestalten laufen an durch den Nieselregen. Sie unterhalten sich. Scheinbar sind sie auf dem Nachhauseweg. Woher und wohin kann man nur ahnen. Ein taxi steht am Straßenrand. Die beiden Gestalten steuern darauf zu. Schon versucht die größere der Beiden, die Tür zu öffnen. Doch dann bemerken sie, dass der Fahrer schläft. Also gehen sie weiter, scheinbar auf der Suche nach einem anderen Taxi. Kurz vor einer großen Kreuzung gelingt es ihnen dann, ein solches anzuhalten. Sie steigen ein und sagen dem Fahrer, wohin sie wollen. Dieser dreht sich wieder um, setzt den Blinker und fährt los, an einigen anderen, am Straßenrand wartenden Taxis vorbei. Und damit nahm das Geschehen seinen Lauf. Die beiden Gestalten ahnten nicht, welche Ereignisse sie in Gang gesetzt hatten und welche Abenteuer sie in den nächsten Minuten erwarten würden...


Klingt wie der Anfang eines schlechten Hollywood-Actionfilmes? Hat sich auch so angefühlt... Michael und ich waren also auf dem Nachhauseweg. Wir hatten Abends bei Teresa gekocht und Tatort geguckt. (Mein erster Tatort seit einem Monat!! Der war aber echt tragisch...) Da nachts die meisten Busse nicht mehr so fahren, dass man superbequem nach Hause kommt, wollten wir ein Stück laufen und dann mit dem Taxi nach Hause fahren. Taxis gibt es hier nämlich überall. Und überall heißt wirklich überall. Wenn nachts 5 Autos an einem vorbeifahren, sind 4 davon Taxis. Außerdem sind sie wirklich ziemlich billig, vor allem, wenn man zu mehreren fährt. Ich fühle mich damit zwar immer noch reichlich dekadent, aber ich bin glaube ich in dieser Stadt schon genau so viel Taxi gefahren wie in den letzten 22 1/2 Jahren. Wie dem auch sei, wir wollten also Taxi fahren. Und sind in dieses Taxi eingestiegen. Was wir nicht wussten: etwa 20 Meter weiter war ein Taxistand, an dem mehrere Taxis standen und auf Fahrgäste warteten. Wir hatten die einfach nicht gesehen. Die Taxifahrer hatten uns aber sehr wohl gesehen. Und waren jetzt stinksauer auf diesen erhlosen Taxifahrer, der ihnen die Fahrgäste vor der Nase wegschnappt. Als wir an ihnen vorbeifuhren, fingen sie an, wild zu gestikulieren und rumzubrüllen. Ich hab ihn zwar nicht verstanden, aber es klang ganz eindeutig nicht nett. Als wir vorbeigefahren waren, hat es plötzlich einen lauten Schlag getan. Irgendjemand hatte etwas (dem Klang nach sehr Hartes) nach unserem Taxi geworfen. Und unser Taxifahrer sah wirklich sehr nervös aus und hat immer wieder nach hinten geguckt. Was mich dazu verleitet hat, das auch zu tun. Unglaublich! Dieser rasende Taxifahrer stieg also in sein Taxi und fing an, uns zu verfolgen. Und zwar unter manischem Gebrauch der Licht- und der normalen Hupe. Und plötzlich fuhr er neben uns auf der Fahrerseite her, kurbelte das Fenster runter und brüllte weiter. Und dann fing er an, uns seitlich abzudrängen. Schluck. Unser Taxifahrer unterdessen tippte auf seinem Handy rum. Ganz offensichtlich rief er die Polizei an, denn etwa 20 Sekunden später (der andere Taxifahrer war inzwischen zurückgefallen) hielten wir neben 2 Polizeiwagen an. (Wo die immer herkommen... Wenn es etwas in dieser Stadt gibt, dass mit ähnlicher Häufigkeit anzutreffen ist, wie Taxis, dann sind es Polizeiautos.) Wir stiegen aus, er fing an, mit den Polizisten zu reden und wir standen etwas von den Socken im Regen. Unser Taxifahrer fuchtelte aufgebracht mit den Armen und erzählte in Richtung des Taxistandes gestikulierend, was passiert war. Und dann kam noch ein Polizeiauto. Und noch eins. Der Taxifahrer bat uns, wieder einzusteigen. Dann kam noch ein Polizeitauto. Und wir saßen da, währen der Fahrer und die Polizisten immer wieder um das Taxi herumliefen, um zu sehen, ob es irgendeinen Sachschaden gab. Und so weiter. Und so weiter. Irgendwann beschlossen wir dann, uns einen anderen Weg  nach Hause zu suchen. Der arme Taxifahrer, offenbar lag ihm sehr viel daran, uns durch die Stadt zu fahren. (Aber nicht verwunderlich, bei der Konkurrenz... Und wenn Fahrgäste in dieser Stadt so begehrt sind, dass man einen solchen Kleinkrieg wegen ihnen anfängt...) Naja, jedenfalls sind wir dann erst mal wieder zurückgelaufen, allerdings durch kleinere Seitenstraßen. Wir wollten nicht wieder den Typen an dem Taxistand begegnen. Und dann sind wir also einfach noch ein bisschen weiter gelaufen. Was dabei sehr auffällig war: Überall war plötzlich Polizei. Und die haben ungelogen jedes Taxi, das ihnen begegnet ist, angehalten und kontrolliert. Und in was für einem Ausmaß! Polizeiautos, Motorräder, Polizisten, wohin man auch blickte! Und das alles, weil wir einen Taxistand übersehen hatten... Das war schon schräg! Von uns wollten die Polizisten übrigens nur wissen, wo wir herkommen. Dann waren wir ihnen schnuppe. Wir haben jedenfalls schlussendlich einen sehr netten und besonnenen Taxifahrer getroffen, der uns sicher und ohne wilde Verfolgungsjagden à la Hollywood nach Hause gebracht hat.
"Ein Abenteuer", würde meine Mama sagen!

Freitag, 10. Februar 2012

Uuuuups....

Na sowas.... wie unangenehm!
Mir ist heute was ganz... Unerfreuliches passiert. Aber irgendwie auch was Lustiges. Und ich hatte Glück. Auf Kosten einer anderen Person.
Der Reihe nach...

Ich war heute mit Lotte Çay trinken. Wir waren erst in einem seeeeehr seeeehr netten Café. Ganz klein und gemütlich, wie in einem Wohnzimmer. Dann sind wir ein bisschen weitergelaufen und direkt im nächsten netten Café gelandet. (Ja, ich bin auf Erkundungstour. Die netten Cafés werden nicht lange sicher sein vor mir!) Da haben wir dann auch direkt Julia, ein spanisches Mädchen, getroffen. (Echt Wahnsinn... dafür, dass diese Stadt so riesig ist, ist sie echt klein. Ich kenn ja noch nicht so viele Leute, aber ständig trifft man irgendwen zufällig! Aber naja, es sind dann halt auch bestimmte Ecken, in denen man als junger (Erasmus-)Mensch so unterwegs ist....)
Jedenfalls haben wir da noch einen Çay getrunken und ein bisschen Tavla gespielt und wollten dann irgendwann wieder los. Ich wollte vorher noch mal auf die Toilette. Leichter gedacht als getan, die Tür ging nämlich nicht zu. Da kam die nette Bedienung im Café auch schon herbei geeilt, um mir behilflich zu sein. Sie meinte, ich müsste kräftig gegen die Tür drücken und wollte das gerade mal von außen demonstrieren. Also hat sie mit einem kräftigen Ruck an der Tür gezogen und - hielt die Türklinke in der Hand. Alles nicht weiter dramatisch, sie meinte dann, ich müsste das halt von innen tun. "Like this." Und mit diesen Worten betrat sie die Toilette, schloss die Tür, ruckte noch einmal von innen, schloss ab, und zu war die Tür. Als sie wieder rauskommen wollte, war die Tür allerdings hartnäckig weiter zu....... Oh oh! Da standen wir also, Lotte und ich vor dem Klo und das arme Mädchen drinnen, und die Tür bewegte sich keinen Millimeter.... Kurz darauf kamen die beiden anderen, die gerade in dem Café gearbeitet haben, mit allerlei Werkzeug angerannt und dann wurde die Tür mit Schraubenziehern und Zangen bearbeitet... Aber... nichts!
Und ich stand daneben und hab mich sehr beschämt gefühlt, weil sie ja nur wegen mir da rein gegangen ist. Und gleichzeitig froh, dass nicht ICH da drinnen war... Naja, jedenfalls wollten Lotte und ich dann auch nicht einfach gehen.... Aber tun konnten wir ja auch nicht wirklich was... Irgendwann kam das eine Mädchen dann aber auf eine grandiose Idee. Sie verließ das Café und tauchte fünf Minuten später mit einer neuen Türklinke in der Hand auf. Und schwupps - einen Augenblick später stand die Gefangene wieder vor uns und alle konnten lachen. Na sowas.......