Donnerstag, 17. November 2011

"Faszyzm nie przejdzie!" - Nazi-Blockade Polish Style

Etwas verspätet... egal!

Sonntag, 13. November, 10.15 Uhr. Ich sitze in einem  knallroten Bus, in den ebenfalls knallroten Sitz aus Plastikleder gekuschelt (wirklich sehr bequem) und fahre von Warschau Richtung Berlin. Der Bus ist zwar rappelvoll, aber das wird sich hinter Poznań sicher ändern – auf der Hinfahrt hatte ich zwischen Berlin und Poznań quasi den Bus fast für mich alleine. Sogar das WiFi funktioniert. (Anders als auf der Hinfahrt.) Was für ein Luxus!
Wieder mal nach Warschau. Aber das erste Mal mit dem Bus. Dauert zwar ein bisschen länger als mit dem Berlin-Warschau-Express (10 ½ Stunden...), ist dafür aber auch ungleich viel billiger. Und man kann die schöne polnische Landschaft und die Bauarbeiten an der Autobahn beobachten. Letzteres zumindest auf den ersten Kilometern hinter der Grenze, dann ist es damit auch wieder vorbei. Ob das was wird mit Polen und der Autobahn bis zur EM? Ich glaube es ja nicht... Und die neue U-Bahn-Linie in Warschau? Und überhaupt, die Stadien?  (Das in Warschau ist jetzt glaube ich sowas wie fertig...)
Aber in den Stadien ist die EM ja ohnehin nicht besonders willkommen. Sowohl in Polen als auch in der Ukraine wüten die Hooligans jetzt schon über die Fußballfans, die von überall her in ihre Stadien strömen werden. Wie soll man denn da in Ruhe seine Prügeleien während und nach dem Spiel führen? Und überhaupt... Auf einmal interessiert sich die polnische Politik für die Hooligans. Die würden bei der EM natürlich einen sehr schlechten Eindruck beim internationalen Publikum hinterlassen. Also versucht man, ihrer schon jetzt Herr zu werden. Wohl das nächste aussichtslose Vorhaben...
Die polnischen Hooligans... Ein Thema für sich. Eine in höchstem Maße politische Szene. Eine in höchstem Maße rechtsextreme Szene. Bis auf zwei sind alle Fanclubs der ersten und zweiten Liga politisch, und zwar rechts. Sagt Jacek Purski von der antirassistischen Initiative “Nigdy Więcej“ (“Never Again“). In den Stadien schwingen sie Flaggen mit rechtsextremen Symbolen, von der Schwarzen Sonne bis hin zum Hakenkreuz. Sie brüllen rassistische und antisemitische Parolen. Um andere Fußballclubs herabzusetzen, wird ihr Logo in einem Davidsstern an Wände gesprüht. Die Hooligans tragen ihre Hass gegen Ausländer, Homosexuelle, Juden und eigentlich jede andere Subkultur offen zur Schau. Und leider sind auch brutale Übergriffe keine Seltenheit.
Auch wenn diese in Polen kaum in offiziellen Statistiken erfasst werden. Warum? Die Politik interessiert sich nicht besonders für rassistisch motivierte Gewaltverbrechen. Doch Gott sei Dank wachsen in Polen die NGOs wie zum Beispiel die Gruppe “Nigdy Więcej“, die sich unter anderem dieser Aufgabe angenommen haben.
Und noch eine Aufgabe haben diese und andere Gruppen übernommen. Und damit kommen wir nun zu einem der Gründe, warum ich gerade im (knallroten) Bus sitze.
Freitag war der 11. November. Das heißt, in Polen war ein gesetzlicher Feiertag. Um genau zu sein: Der polnische Nationalfeiertag. Gefeiert wird die Zweite Polnische Republik, ausgerufen 1918. Und an diesem Tag findet in Warschau seit den Neunziger Jahren ein „Marsch der Unabhängigkeit“ statt. Klingt schön, nicht wahr? Was sich dahinter verbirgt, ist die größte Nazi-Demo Polens. Letztes Jahr marschierten zwei- bis dreitausend Flaggen schwingende und Parolen skandierende Menschen durch die Stadt. Und dieses Jahr? Zehntausend... Ihr Ziel ist für gewöhnlich das Denkmal Roman Dmowskis. Dmowski war an der Gründung der Zweiten Republik beteiligt. Seine Ideen von einem unabhängigen Polen eckten jedoch mit denen Piłsudskis an – noch konservativer, noch nationalistischer. Ein ethnisch und religiös homogenes Polen; polnisch und katholisch.
Zurück zum Polen der Gegenwart. Es wäre nun verkehrt, zu sagen, dass da zehntausend Nazis marschiert sind. Dass die Marschierenden aber allesamt zum nationalistischen Lager gehören, kann man wohl sagen. Dass sie fremdenfeindlich sind auch. Gegen die Gleichberechtigung von Homosexuellen und die Emanzipation der polnischen Frauen. Wenn das nicht schon Genug Grund zum Protest ist.„Polska jest tylko biała („Polen ist nur weiß“) – das ist einer der oft gehörten Slogans an diesem Tag.
Warum unternimmt seit Jahren niemand etwas gegen diese Demonstrationen? Nun, dass niemand etwas unternimmt, stimmt so nicht. Die Politik unternimmt nichts. Und das verwundert nicht, wenn man sich die polnische politische Landschaft mal etwas genauer anguckt.
Die politische Rechte ist in Polen erschreckend akzeptiert. Neben der im Untergrund agierenden faschistischen Szene gibt es viele öffentlich-politische Akteure, die dem nationalistischen Lager zuzuordnen sind. Und dabei geht es nicht nur um kleine Randgruppen. Die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS), die mit Lech Kaczyński bis Oktober 2007 die Regierung stellte, fällt selbst mit populistischen und nationalistischen Äußerungen auf. Und nicht nur das. Die Partei schloss auch Koalitionsverträge mit der Liga Polnischer Familien (Liga Polskich Rodziń, LPR), einer katholisch-nationalistischen Partei, die offen gegen Juden und Schwule hetzt. Auch ist die LPR einer der Mitorganisatoren des Marsches am 11. November. Ebenfalls beteiligt sind Gruppierungen wie die Partei Nationale Wiedergeburt Polens (Narodowe Odrodzenie Polski, NOP), das Nationalradikale Lager (Obóz Narodowo-Radykalny, ONR) oder die rechtsextreme, militante Jugendorganisation Allpolnische Jugend (Młodzież Wszechpolska). Namen, die einen aufhorchen lassen.
 Und die Partei, die vergleichbar ist mit den deutschen Grünen? Die bekommt in Polen unter einem Prozent der Stimmen.
Doch trotzdem stellen sich Menschen diesem Aufmarsch in den Weg.
In den letzten Jahren hat sich ein netzwerkübergreifendes Bündnis gebildet, mit dabei die Gruppe ”Never Again”. Ihr Ziel ist es, den Aufmarsch den Nazis keinen Raum zum Marschieren zu bieten. Zu blockieren. Ähnlich, wie dies seit mehreren Jahren am 14. Februar in Dresden geschieht. Und się haben Erfolg. Vor zwei Jahren nur ein kleiner Haufen Demonstranten, gingen letztes Jahr bereit 4000  Menschen auf die Straße. Die Nazis konnten ihre geplante Route nicht beibehalten. Die Menschen jubelten.
Dieses Jahr war ich nun also mit dabei. Beinahe so was wie ein Zufall. Ich wollte eh nach Warschau fahren, um Ania zu besuchen. Und nach intensivem Studium unserer beider Terminkalender hat sich herausgestellt, dass dieses Wochenende eigentlich das einzige ist, das uns beiden passt. Und ein bisschen später ist mir aufgefallen, dass ich dann ja am 11. November in Warschau bin. Passend.
Und noch passender, dass meine Freundin Agnieszka und ihre Freunde auch zu der Blockade wollten. So war ich nicht alleine.
Also, wie sah das aus?
Wir waren leider recht wenige – vielleicht 2000 Gegendemonstranten. Ein bunter Wagen mit Rednern, viele pinke Tücher, eine sehr nette Sambagruppe, ein Strandball, Musik. Reden werden gehalten. Polens Unabhängigkeit ist bunt, die Faschisten kommen nicht durch. „Ich bin hier, weil ich glaube, dass ein freies Land in der Lage sein muss, freundlich gegenüber allen Menschen zu sein“, sagt Agnieszkas Freundin Sonja. „Und weil ich an einem friedlichen Protest teilnehmen wollte.“
Auch Politiker sind vertreten. So etwa der erste schwule Abgeordnete Polens, Roman Bierdron, oder die weltweit erste transsexuelle Abgeordnete Anna Grodzka (und das in Polen!). Auch sonst ist die Menge erfreulich bunt gemischt – wenn man ihr auch eine Zugehörigkeit zur gebildeten, eher links ausgerichteten Bevölkerung nicht absprechen kann. Aber hier stehen Politiker neben Antifaschisten, Hetero- neben Homosexuellen, Studenten beobachten, wie zwei ältere Damen fröhlich mit ihren Transparenten im Kreis tanzen. Sogar „Bella Ciao“ gibt es auch auf polnischen Demos, wie ich zu meiner Begeisterung festgestellt habe. Alles wie bei uns.
Auch die Polizisten sehen aus wie bei uns: Sie sind ganz viele, dick gepanzert, haben, haben Schutzschilde und Pfefferspray-Pistolen dabei und irgendwo im Hintergrund stehen die Wasserwerfer. Aber Moment mal: Da gibt es doch einen Unterschied!
In diesem Fall zeigen die Wasserwerfer nicht auf die Gegendemonstranten, sondern auf den eigentlichen “Marsch der Unabhänigkeit“. Weil dieser wie gesagt nicht nur aus „harmosen“ Nationalisten besteht. Man hat sich Verstärkung geholt: Aus dem Ausland und vor allem aus den polnischen Fußballstadien.  Und die Hooligans, die hier mit marschieren, haben es eigentlich nur darauf angelegt, sich endlich prügeln zu dürfen. An die Gegendemonstranten kommen sie aber nicht heran, die Polizei steht im Weg. Macht nichts, mit denen kann man sich ja auch prügeln. Und so eskaliert an diesem tag die Gewalt, ohne dass wir bei der Gegendemo davon in besonderer Weise betroffen sind. Der Marsch muss umgelenkt werden, später die Nachricht: Der Marsch bleibt zwar legal, doch die Versammlung der Nationalisten ist inzwischen für illegal erklärt worden. Doch am Denkmal Dmowskis brodelt es, Steine fliegen, Streifenwagen brennen.
Das alles habe ich nicht live miterlebt (Gott sei Dank...) Aber als ich nach Hause kam, saß Ania vor dem Fernseher und hat die Nachrichten verfolgt. Und bis tief in die Nacht (um halb 1 hab ich dann den Fernseher irgendwann ausgemacht....) waren die polnischen Nachrichten voll von den Ereignissen des Tages. Scheinbar hat niemand mit einem solchen Ausgang gerechnet. 210 Menschen wurden verhaftet, davon 92 Deutsche (es ist nicht ganz klar, zu welcher Seite die gehörten... Mal hört man, die deutsche Antifa sei für große Teile der gewaltsamen Ausschreitungen verantwortlich, dann wieder heißt es, sie seien gleich bei der ersten Gelegenheit verhaftet worden, um ihnen keine Möglichkeit zu geben, gewalttätig zu werden. Und auch die Anwesenheit deutscher Nazis bei dieser Demo würde ich jetzt per se mal nicht ausschließen....), 40 verletzte Polizisten, jede Menge zerbrochener Scheiben, zwei ausgebrannte Übertragungswagen des polnischen Fernsehsenders tvn, und und und....
Doch vielleicht... ja, vielleicht bewegt das jetzt etwas im Bewusstsein der polnischen Öffentlichkeit. Und der Politik. Vielleicht ist die stundenlange Berichterstattung ein erstes Zeichen. Vielleicht hat man jetzt endlich erkannt, dass es in Polen durchaus ein Problem mit Rechtsextremismus gibt, und das dagegen etwas getan werden muss.
Zumindest soll jetzt schon mal etwas am Demonstrationsrecht geändert werden. Bisher war es in Polen – anders als in Deutschland – nicht verboten, bei Demonstrationen sein Gesicht zu Vermummen. Und auch Feuerwerkskörper waren legal. Nun denkt Ministerpräsident Donald Tusk darüber nach, dies zu ändern.
Ich kann mich noch nicht ganz entscheiden, was ich von der ganzen Sache halte.
Zum einen ist es traurig, dass die Gegendemo dieses Jahr nur etwa halb so groß war, wie 2010. Agnieszka und ihre Freunde meinen, das liegt wohl daran, dass letztes Jahr einige Leute doch ordentlich was abbekommen haben. Deswegen sind Viele dieses Jahr vorsichtiger, haben Angst. Zum anderen finde ich es erschreckend, wie dieser “Marsch der Unabhängigkeit“ innerhalb eines Jahres von 3000 auf 10000 Menschen anwachsen konnte (in dem Zusammenhang ist die schrumpfende Gegendemo noch beängstigender).
Ein sehr deutlicher Unterschied zwischen der polnischem Gegendemo und dem, was wir so aus Deutschland kennen, war wohl auch das Ziel. Die Blockade wollte erreichen, dass die Nationalisten von ihrer geplanten Route abweichen müssen. Das haben sie geschafft. Es ging aber nicht darum, den Marsch gar nicht vorankommen zu lassen. Natürlich, das geht auch nicht ohne Zusammenstöße. Und die würde ich glaube ich bei den Relationen auch tunlichst vermeiden wollen... Und es ist gut, dass es diesen Protest gibt. Ich drücke die Daumen, dass er auf fruchtbaren Boden fällt. Wir werden sehen. Zumindest waren die Nachrichten bis spät in die Nacht voll mit Bildern der Ausschreitungen und Kommentaren von vielen verschiedenen Seiten - Organisatoren, Gegner, Politiker, Journalisten, und so weiter. Das ist neu. Vielleicht bewirken die Ereignisse dieses Tages ja tatsächlich etwas, im Bewusstsein der Politiker und vor allem im Bewusstsein der Gesellschaft. Bisher war man ja davon ausgegangen, Polen habe kein Problem mit Fremdenhass, mit Rassismus und Antisemitismus. Und nun stellt man auf einmal fest, dass es keinesfalls die deutsche Antifa war, die sich hier aus lauter Polenfeindlichkeit mit der polnischen Polizei geprügelt hat (Wie das Herr Jarosław Kaczyński ja sofort hat verlauten lassen), sondern eben polnische Rechte. Hoffen wir, dass das auf Dauer etwas bewegt.

So, das war mein großes Abenteuer dieses Wochenende. Und drumherum noch ein bisschen Spazieren in der Warschauer Novembersonne (ja, ich bin auch überrascht, aber es gibt sie), Grzane Wino (Glühwein) im W Oparach Absurdu (meiner allerliebsten Warschauer Lieblingskneipe :)  ), Piwo (Bier) im Plan B (die gehört auch mit auf die Liste der liebsten Kneipen!) und ein sehr sehr leckeres Frühstück in einem neuen Laden, dem „Chleb i Wino“ (Brot und Wein). Und spätestens als wir da drin waren, war die Erkenntnis nicht mehr zu leugnen: Auch Warschau ist voller Hipster.

Samstag, 5. November 2011

Farbenspiel des Winds

Der Herbst is da. (Wenn es nicht sogar schon mit Siebenmeilenstiefeln auf den Winter zugeht...)
Bunte Farben überall, die Sonne scheint und lässt die Blätter der Bäume in ihrer ganzen Farbenpracht strahlen. Man sieht sich um und sieht sich der enormen Vielfalt des Farbenspektrums gegenüber: Rotbraun, Goldgelb, Weinrot, Orange, hier und da ein bisschen Grün und Braun, Lila, Blau....

Moment.
Lila? Blau?
Ja. Aber nicht an den Bäumen. Eher an meinem rechten Oberarm. (Am linken auch, und an den Schienbeinen. Aber was da an meinem rechten Oberarm zu sehen ist, ist ein wirklich prachtvoller Vertreter seiner Art.)
Und diese Dynamik. Dieses "Farbenspiel", im wahrsten Sinne des Wortes. Diese Anmut, die Intensität... DAS ist wahre Kunst.


Am Abend des Geschehens. Blau, mit einem Hauch Lila. Was ist das?


Tag 2. Intensiveres Lila, mit einem leichten Einstich ins Rote. Ein Hauch Grün. Wie ein Sonnenuntergang.



Beinahe eine Woche ist vergangen. Die Farben verschwinden, es dominiert ein satter Braunton. Der Herbst nähert sich seinem Ende. So schließt sich der Kreis. Bald wird das prächtige Farbenschauspiel voll und ganz verschwunden sein.

Die Natur schafft es doch immer wieder, uns Menschen mit ihrer Schönheit zu beeindrucken.
Schön.

Freitag, 14. Oktober 2011

At least there was some sun...

Jetzt ist er wohl endgültig vorbei, der Sommer. Naja, was sag ich da... Um vorbei zu sein, hätte er ja irgendwann auch mal anfangen müssen. Das hat der Gute aber dieses Jahr wohl vergessen. Aber man soll nicht meckern, die letzten Septemberwochen und der Oktoberanfang waren ja wunderschön. Und schön ist es immer noch, nur so kalt... Ich hab schon meine Mütze aus dem Schrak gekramt, jetzt hab ich wenigstens warme Ohren. Ich war schon immer dagegen, die ganze Zeit einen kühlen Kopf zu bewahren. Also, Mütze. So friere ich wenigstens nur zuhause. Mit grausiger Erinnerung an die letzte Heizkostenabrechnung traue ich mich nämlich nicht, die Heizung anzustellen.
Wenn das nicht ein Grund mehr ist, um bei diesem schönen Wetter rauszugehen. Da kann ich ja meine Mütze aufziehen. So kam es, dass ich heute Nachmittag durch die Straßen in Neukölln (und zugegeben, ein bisschen Kreuzberg) geschlendert bin. Und gelächelt habe. Beim Versuch, die Sonne einzufangen.


At least there was some sun

Donnerstag, 8. September 2011

There and Back again...



...Zwar nicht die Reise eines Hobbits, aber wir waren trotzdem ganz fleißig unterwegs. Und Abenteuer haben wir auch erlebt, irgendwie... (Gut, dass meine Mutter das nicht vorher prophezeit hat! Immer diese Omen...)
Was haben wir denn nun gemacht?
3 Wochen. 7 Länder (wenn man die nur-durchfahr-Länder mitzählt)

Georgien-Türkei-Bulgarien-Serbien-Ungarn-Österreich-Deutschland

und die genaue Route?

Berlin --Flugzeug--> Tbilisi (Hauptstadt Georgiens) --Marshrutka (Minibus)--> Orpiri (Workcamp-Dorf) --Marshrutka--> Batumi (am Schwarzen Meer) --Marshrutka--> Sarpi --zu Fuß--> türkische Grenze --Marshrutka--> Hopa (1. Ort in der Türkei) --Bus (20 Stunden!!)--> Istanbul --Nachtzug--> Sofia (Bulgarien) --Nachtzug--> Belgrad (Serbien) --Nachtzug--> Budapest (Ungarn) --Zug--> über Österreich zurück nach Deutschland (ich könnte auch noch Lettland dazuzählen, wir haben in Riga den Flieger gewechselt!)

Aber vielleicht mal der Reihe nach... Was war das noch gleich?
Ein Workcamp! Antonia hat mir vor ein paar Monaten erzählt, dass sie im Sommer zu einem Workcamp nach Georgien fährt. Und da war ich mehr als neidisch - nicht nur, dass meine Urlaubsplanung so gut wie nicht existent war, nach Georgien wollte ich schon seit Jahren! Aber dann fiel mir auf, dass das ja eigentlich drei sehr gut zusammen passende Umstände sind – Ich fahre mit!

Meine ursprüngliche Idee von Urlaub für diesen Sommer war ja, irgendwo mit so wenig Plan wie möglich im Warmen rumzufahren. Ich glaube, Reisen ist viel intensiver, wenn man es einfach auf sich zukommen lässt... Wenn man nicht 2 Monate vorher weiß, wann man eigentlich genau wo sein wird und wo man da schläft und was man da tut und was der Reiseführer empfiehlt. Man lässt einfach das Jetzt auf sich wirken und denkt nicht schon daran, dass man sich beeilen muss, um rechtzeitig hier und dort zu sein. Man ist viel mehr im Moment. Doch, mal wieder: Zum Hitchhike-Urlaub hat mir dann doch der Mut (und die Begleitung) gefehlt.
Aber wir haben einen tollen Kompromiss gemacht:
Antonia und ich haben nur den Hinflug nach Tbilisi (den Namen "Tiflis" hat die Stadt von den Russen - die konnten Tbilisi nicht aussprechen! Die Georgier hören ihn aber eigentlich gar nicht gerne... genau wie die slawische Bezeichnung "Gruzia" für Georgien. Ihr Land nennen sie selbst "Sakartwelo"!) gebucht. Und zurück? Irgendwie anders.
Der grobe Plan (ja, doch wieder eine Art Plan...): Mit dem Bus von Georgien bis Istanbul, und von dort weiter mit unseren Interrail-Tickets (die wir sehr durchgeplant vorher gekauft hatten) im Zug. Das Tolle daran: Man hat zwar sein Ticket, aber man kann immer noch total frei entscheiden, wann und wohin man fährt. (Fast) ganz spontan. Was, hier ist es toll - ich bleib noch einen Tag. Nein, hier gefällts mir nicht, wir fahren doch gleich weiter.

Soweit also die Vorbereitungen. Und dann gings los.
Und: WOW!
Georgien ist ein fantastisches Land! Absolut umwerfend. Wunderschön, die tollste Natur, endlich Sommer, und überall unglaublich liebe Leute. So gastfreundlich und hilfsbereit. Wenn du - mit Händen und Füßen, von der georgischen Sprache versteht man NICHTS! - irgendwen fragst, wo die Marshrutka da und da hin fährt, dann wird diese Person nicht rasten und ruhen, bis sie dich in den betreffenden Minibus gesetzt hat. Und wenn sie dafür die halbe Stadt fragen muss, welche Nummer das ist und von wo er fährt. Außerdem sagt sie dem Busfahrer noch, er soll dir sagen, wo du aussteigen musst. Und dann bekommst du vielleicht auch noch eine Nektarine zum Abschied in die Hand gedrückt.

Unser Start in Tbilisi war – früh. Wir kamen irgendwann nachts um halb 5 am Flughafen an. Dann hat uns direkt ein Taxifahrer aufgegabelt, der ganz wild darauf war, uns in die Stadt zu bringen. Auch, wenn er echt total nett war – hätte ich VOR dem Losfahren gesehen, dass sowohl Windschutzscheibe als auch Seitenspiegel ein reines Trümmerfeld und keine Scheiben waren, wäre ich vielleicht nicht eingestiegen... Was gar nicht so gut gewesen wäre. Unser Taxifahrer war nämlich zufällig ein Freund von Irine Japaradize, der Besitzerin des von uns auserkorenen Homestays. Er brachte uns also nicht nur bis vor die Haustür, er hat auch unsere Taschen hochgetragen und die gute Frau für uns aus dem Schlaf geklopft.
Was für ein Anblick... Irine vermietet Betten in ihrer zweistöckigen Wohnung. Sie selber – eine recht „kompakte“ Frau – sitzt oder liegt immer rauchend auf irgend einem Sessel oder Sofa herum (oder kocht Suppe – rauchend). Und wenn ich sage, dass sie IMMER raucht, dann meine ich das auch so. Sogar beim Schlafen!
Außerdem hätte sie gute Chancen auf den Weltmeistertitel im Tetris. Egal, wohin man in dieser Wohnung guckte, wohin man sich drehte: Überall standen Betten. Überall! Große Betten, kleine Betten, Doppelstockbetten, Klappsofas, Schlafsofas, Doppelbetten, aufblasbare Betten... Sogar auf dem Balkon standen Betten! Ich glaube, als wir da waren, hatte Irine etwa 54 Leute zu Gast...

Betten auf dem Balkon

Dann starteten wir – nach einem kurzen Nickerchen in zweien der abertausenden Betten – in unseren Marathon-Tag in Tbilisi. Morgens haben wir uns mit Armani, einem Bekannten von Gerrit getroffen. Der hat uns fröhlich und mit viel Begeisterung den ganzen Tag auf Trab gehalten, damit sich der kurze Besuch in Tbilisi auch lohnt. Also, Straßen entlang, Berge hoch und wieder runter, Kirchen und Denkmäler angucken, auf steile, schmale Treppen steigen (da hab ich dann mal von unten zugeguckt...), erste Georgisch-Lektionen bei Minz-Limonade im von Gerrit empfohlenen Café, Chatshapuri (Brotfladen mit Käsefüllung) und Khinkali (mit Fleisch und Brühe gefüllte Teigtaschen) essen (und dabei die richtige Technik lernen – die ich aber keinen Georgier habe benutzen sehen, immer nur die ambitionierten Reisenden) und und und... Und das alles bei – SOMMER! Endlich Sommer, das hat ja dieses Jahr auch lange genug auf sich warten lassen.....


Blick über Tbilisi
Am nächsten Tag gings dann früh weiter. Auf Richtung Workcamp!
Wir sind also zu der Metrostation gefahren, von der jede Menge Marshrutkas abfahren – unter anderem Richtung
Kutaisi. Das ist die zweitgrößte Stadt in Georgien. Hm. Und jetzt? Zwar steht an jeder Marshrutka, wohin sie fährt... aber wir konnten (und können) leider keinen einzigen Buchstaben der georgischen Schrift entziffern! Gott sei Dank dauerte es etwa 10 Sekunden, bis wir von jeder Seite Männer „Kutaisi?!“ rufen hörten. Gerettet! Während wir auf die Abfahrt unserer Marshrutka warteten, haben wir uns sehr nett (und vor allem mit Händen und Füßen) mit einer georgischen Frau unterhalten, die allen möglichen Kleinkram verkaufte – einzelne Kaugummis, Zahnbürsten, Garnspulen, Taschentücher, Zigaretten... Die war ganz begeistert von uns zwei Deutschen Mädchen. So begeistert, dass sie kurzerhand ihren Sohn irgendwo aus der Menge zauberte, um ihn uns vorzustellen (bzw. anzupreisen). Wir haben nicht ganz verstanden, ob er gerade vom Frisör kam und deswegen so ausgesprochen gut aussah, oder ob ihm der Frisörsalon um die Ecke gehört... Dann mussten wir aber in unsere Marshrutka klettern und hatten deswegen keine Zeit mehr, das noch herauszufinden. Allerdings redete die Frau dann noch kurz mit dem Mann, der unsere Marshrutka rausgwunken hat – und bevor wir abfahren durften, mussten wir noch unsere Emailadressen für die gute Frau auf einen Zettel schreiben. So knüpft man Kontakte!
Sind wir nicht hübsch?
Dann ging die Fahrt los. Und was für eine Fahrt! Diese Marshrutkafahrer sind echt rücksichtslos... Gegenverkehr? Egal, man überholt trotzdem. Die Straße ist ja breit genug. Und gebremst wird nie. Doch, aber nur für die Kühe, die überall am Straßenrand rumstehen und manchmal eben auch mitten auf der Straße. Manchmal liegen sie auch auf der Straße. In dem Fall muss der erboste Marshrutkafahrer sogar anhalten, aussteigen und die Kuh verjagen.
In Kutaisi haben wir dann eine zweite Marshrutka bestiegen, die uns nach Orpiri gebracht hat. Orpiri ist das Dorf, in dem unser Workcamp stattfand.
Und was für ein Dorf! So habe ich mir immer Dörfer in Märchen vorgestellt. Mit ein bisschen Ost-Touch. Kein Internet, überall sitzen irgendwelche Leute in Grüppchen im Schatten zusammen und spielen Backgammon, alle Männer rauchen ununterbrochen. Es gibt drei kleine Läden, die alle das gleiche verkaufen. Mehl, Reis, Brot, Tomaten, Käse, Bier. (Den Chacha gabs woanders. Das ist der schwarzgebrannte georgische Schnaps... mit bis zu 70% Alkohol... Huuuuuui!)
Aber wir hatten trotzdem einen Lieblingsladen – denn nur in dem einen Laden sprach die Frau russisch. Und das ging dann doch noch mal besser als georgisch....
Einer der Läden. Und rauchende Männer.
Gegenüber von dem Haus, in dem wir gewohnt haben, wohnt ein altes Ehepaar. Die beiden sitzen den ganzen Tag in ihrem Hauseingang, gucken Fernsehen und keifen irgendwas (für uns unverständliches) über die Straße. Die beiden sind aber total nett, sie klingen nur nicht so. Aber die Frau hat uns immer irgendwas selbst Gebackenes oder Gekochtes vorbei gebracht und einmal war sie auch mit ihrer Kuh zu Besuch. Da lag Antonia gerade auf der Wiese und hat geschlafen, und als sie die Augen aufgemacht hat, stand da eine Kuh und hat sie angeglotzt. Ein schöner Anblick zum Aufwachen! Ich hingegen habe meine Liebe zu Schweinen entdeckt. Die sind ja so süß, wenn sie grunzen! Und dann laufen sie da einfach so nett bei einem am Grundstück vorbei. Und manchmal haben sie so niedliche schwarze Stiefelchen an, wenn sie gerade in einer Matschpfütze rumgestapft sind. Ich will jedenfalls mal ein Schwein haben.



Da waren wir nun jedenfalls in unserem Workcamp. Die Teilnehemer waren weniger gemischt, als erwartet (und in den Camps davor und danach war es wohl auch anders) – eine tschechische Campleiterin, Jana, drei georgische Jungs , Beka, Iveri und Giorgi, und drei deutsche Mädchen – Eva, Antonia und ich. Und Roman, ein Tscheche, der eigentlich nur zu Besuch da war und dann doch bis zum Ende geblieben ist.
Diese Mischung sollte sich noch als sehr... spannungsreich entpuppen. Denn scheinbar nehmen es die orthodoxen Georgier sehr genau, wenn es um kein-Sex-vor-der-Ehe geht. (Was nicht heißt, dass sie sich nicht hübsch anziehen... die armen Jungs, überall hübsche Frauen, aber sie dürfen nicht ran...) Und – wahrscheinlich nicht zuletzt dank MTV, Lady Gaga und und und – hatten unsere Jungs die Idee, dass „Frauen aus dem Westen“ das ganze nicht nur lockerer sehen, sondern dass es eher so die Regel ist, mit jedem ins Bett zu gehen und dass das ja eh nichts weiter zu bedeuten hat. Die hatten also irgendwie im Hinterkopf, in diesem Camp dürften sie nun endlich mal ran. Als sich dann rausstellte, dass das nicht ganz so klappte, wie erwartet, waren sie doch recht enttäuscht. Und dazu kamen die unterschiedlichen Rollenbilder an sich. „Was? Klo putzen? Wir?? Habt ihr gesehen, das wir das waren, die im Suff daneben gepinkelt haben? Nein? Wie könnt ihr dann sicher sein, dass wir das waren? Hier gehen auch andere Leute aufs Klo...“
Aber nach vielen kleineren (und größeren) Streitereien und einer Einführung ins Tisch decken und abräumen, hat dann alles irgendwie funktioniert und sich eingespielt. Auch mit der Arbeit war es irgendwie anders, als wir erwartet haben. So richtig viel körperliche und sinnvolle Arbeit, das war unsere Vorstellung. Im Endeffekt haben wir nicht so besonders viel gearbeitet, und so richtig sinnvoll war das Meiste auch nicht. Wir haben in der Schule in Orpiri einen Graben gebuddelt und die (noch recht ansehnlichen) Fußböden gestrichen. (Wir Mädchen haben vor allem gestrichen, buddeln wollte der sehr fürsorgliche Hausmeister uns nicht zumuten.) Und dann haben wir den Zaun um unseren Garten neu gestrichen. Und vorher abgeschliffen, weil da noch so viel alte blättrige Farbe dran war. Abschleifen hieß aber hier, dass wir jeder ein Stück Schleifpapier in die Hand gedrückt bekommen haben und damit ein bisschen am Zaun rumgerubbelt haben. Aber so lernt man auch, mal ein bisschen über diesen deutschen Perfektionismus hinwegzukommen. Naja, dann streicht man halt bald nochmal... Wozu der Aufwand jetzt... und eine Schleifmaschine gibt’s in Orpiri eh nicht.



Dafür aber einen Spielplatz. Und auf diesem Spielplatz jede Menge Müll. Und damit kommen wir zur gelungensten Aktion unseres Workcamps. Jana hatte die Idee, für die Kids im Dorf einen Spiel-und-Spaß-Nachmittag zu organisieren, mit verschiedenen kleinen Spielen. Und zwar genau auf diesem Spielplatz. Also haben wir uns aufgemacht und einen Vormittag lang die leeren Bierflaschen, Chipstüten, Kippen, Plastikkrempel, Spielkarten und was da noch so alles lag einzusammeln. (Der Pickup, der hinterher die Mülltüten abgeholt hat, war bis oben hin vollgepackt....). Und nachmittags haben wir dann die „Orpiri Kids’ Olympic Games“ veranstaltet (für die wir am Tag vorher schon mit fantastischen selbstgemalten Plakaten geworben hatten!)
Ein voller Erfolg. Die Kinder aus Orpiri waren glaube ich vollzählig versammelt, und zwar von 6 bis 26 Jahren... Aber in Orpiri ist in der Ferienzeit auch sonst NICHTS los. Es war also DAS Event. Und die „Kinder“ hatten Spaß – bei Twister, Partner-Wettrennen (mit zusammengebundenen Beinen), Sachen-auf-die-Markierung-Werfen (das „Throwing-Up-Game“... :D  ) und so weiter und so fort.
Wir auch. Aber vor allem habe ich noch nie so viele Liebeserklärungen an einem Tag bekommen.... Und ich bin auch noch nie so oft am Stück gefragt worden, ob ich mich nicht mal mit jemandem fotografieren lassen will. Die spinnen, die georgischen Jungs! Außerdem haben sie den halben Fliederbusch ausgerissen, um uns Blumen zu schenken. Sehr süß. (Der arme Flieder.)



So viel zu unserer Arbeit. Am Wochenende haben wir tolle Ausflüge gemacht – Klöster angucken, sehr beeindruckende Tropfsteinhölen durchwandern (und zwar mit vor Staunen runterhängender Kinnlade), Kutaisi, Nationalpark, Strand... Dieses Land hat eine so beeindruckende Natur... Es ist nur etwa so groß wie Bayern, aber ich hatte dauernd das Gefühl, dass da genau deswegen unheimlich viel Landschaft und Natur auf kleine Fläche zusammen“geschoben“ ist... So dicht, so grün, so super intensiv! Überall grün, überall Berge, überall... alles! Und wenn Richtung Küste fährt, guckt man rechts aus dem Bus und sieht Meer. Und dann guckt man links aus dem Bus und sieht... mehr! Berge! Bäume! Flüsse! Wahnsinn. Guckt euch die Bilder an... Aber wie das immer so ist, das Atemberaubende, das Wahre kann so ein Foto gar nicht transportieren... Also fahrt lieber hin! (Und nehmt mich mit!!)



Nachdem das Workcamp vorbei war, sind Antonia und ich also aufgebrochen Richtung Türkei. Dafür sind wir erst mal nach Batumi gefahren, einer georgischen Stadt am Schwarzen Meer, nicht weit von der türkischen Grenze. Dort haben wir noch einen Tag am Strand gelegen. Dann ging es los: Auf nach Sarpi, dem letzten Ort auf der georgischen Seite, dann zu Fuß über die Grenze, wieder in einen Minibus nach Hopa, dem ersten türkischen Ort, und von da mit einem grooooßen und sehr modernen Bus nach Istanbul. Immer an der Schwarzmeerküste entlang, und das ganze in nur 20 Stunden! Reiner Luxus.... (schon nach den ersten 5 Stunden hat sich mein Hintern sehr plattgesessen angefühlt....)
Und dann, viel viel später, kamen wir in Istanbul an. Das heißt, wir fuhren nach Istanbul rein – am Busbahnhof kamen wir erst Stunden später an. Diese Stadt ist so riesig... Gar kein Ende! Egal wohin man guckt, überall Häuser... Und das nach 2 Wochen so viel Natur!
Aber Istanbul ist toll. Wir waren zwar nur 2 Tage da, und da mussten wir auch wieder erst mal ein bisschen ausruhen und alles ganz langsam angehen, aber die Stadt hat sowohl Antonia als auch mich schwer beeindruckt. Und jetzt freue ich mich erst recht, im Februar wieder hinzufahren und dann auch die Nicht-Touri-Ecken zu erkunden... Der Gewürzbasar zB ist zwar sehr schön, aber eben einfach nur für Touristen, alles ist sündhaft überteuert und so voll mit Touris... Aber ich werde schon die „echten“ Basare finden, jippie!
Wir haben dann doch auch so ein bisschen das Standard-Programm abgespult... Hagia Sofia, Blaue Moschee, Bootsfahrt auf dem Bosporus.. Und ununterbrochen Çay (türkischen Tee) trinken und Backgammon spielen. Und wir haben Ivo getroffen! Ivo ist der Sohn meines Cousins, und wie das in unserer Familie so ist, bekommen wir es eigentlich NIE hin, uns zu treffen. Dabei sind er und seine Geschwister noch die, die wenigstens in Deutschland wohnen. Und siehe da, was passiert, wenn man mal ganz weit weg ist von zuhause? Da verrät einem Facebook, dass Ivo auch da ist. Diese Welt....
I can see Turkey!



Von Istanbul sind wir dann mit einem Nachtzug weitergefahren nach Sofia. Und Sofia war zwar nett, aber nicht besonders aufregend. Am zweiten Tag sind wir ein bisschen rumgebummelt, wussten dann aber irgendwann auch nicht mehr so recht, was wir mit unserer Zeit anstellen sollen. (Wir waren aber auch müde und nicht so besonders kreativ.) Aber als wir eigentlich mit Magenknurren auf der Suche nach Mittagessen waren, haben wir einen ganz begeisterten Russen getroffen, der sich  mit seinen 7,5 Litern Bier im Arm und auf seinen Zug nach Moskau wartend dringend noch mit uns unterhalten wollte. Sprachbarriere? Ist doch schnuppe! (Zumindest "красивые девушки" , "schöne Mädchen" hab ich verstanden...) Und wir haben zielsicher den Hippie-Kram-Laden gefunden, der einem Deutschen gehört, der nach langem in-der-Welt-unterwegs-sein einen Laden in Sofia aufgemacht hat und aber die meiste Zeit irgendwo im Nichts rumhängt und eine Art „Camp“ in der Natur für lauter spirituelles Zeug und Zusammenleben aufbaut. Witzig. Und er hat geredet ooooohne Ende...

Am nächsten Abend ging es dann weiter Richtung Belgrad. Auch wieder Zug, diesmal kamen wir aber morgens früh um 5 an... Und wollten abends wieder weiter. Deshalb wollten wir unser Gepäck einfach am Bahnhof einschließen. Denkste, in Belgrad am Bahnhof gibt’s keine Schließfächer! (Haben abends festgestellt, dass es doch sowas in der Art gibt. Aber nicht sehr vertrauenserweckend, und auch nicht morgens um 5...) Also was nun? Ich hatte zum Glück die Adressen mehrerer Hostels direkt am Bahnhof aufgeschrieben, falls wir doch eine Nacht in Belgrad hätten bleiben wollen. Und nach einigem von-Hostel-zu-Hostel-Geschlurfe, einem kurzen Nickerchen auf einer Couch und dem Steckenbleiben in einem engen, aus den Untiefen der Sowjetzeit stammenden Fahrstuhl hatten wir unsere Rucksäcke tatsächlich in einem Hostel abgestellt und waren auf dem Weg in die Innenstadt, um etwas zum Frühstücken zu finden.
Derart gestärkt schlurften wir kurze Zeit später weiter, um uns Belgrad anzugucken. Und die Stadt ist echt toll! Schade, dass wir nur so wenig Zeit hatten. Es gibt eine ganz nette Bummel-Ecke, mit toll bemalten Häsuern und einem niedlichen Café neben dem anderen. Da kann man sich gar nicht entscheiden, in welchem man seinen Kaffee trinken soll! (Ja, ich weiß, mein Papa hätte sich einfach mit seinem Buch erst in das eine, dann in das nächste und immer so weiter gesetzt.) Aber auch, wenn man diese Ecke der Stadt verlässt und zwischen den weniger hübschen Häusern Belgrads rumläuft, sieht man überall plötzlich nette Cafés auftauchen. Und sowas hebt die Atmosphäre in einer Stadt doch gewaltig. Leider waren wir wirklich SEHR müde. Unser Tag bestand also im Groben aus Rumliegen vor der Belgrader Festung (wo wir auch die beiden Interrailer aus Frankreich, mit denen wir im Zug saßen, beim Aufwachen getroffen haben), Rumsitzen beim Mittagessen, Rumliegen in dem Park, wo die ganzen „jungen Leute“ sich rumtreiben (Mittagsschlaf für Antonia), Rumsitzen im Café und Backgammon spielen, größte orthodoxe Kirche Serbiens angucken (Platz für 10000 Leute, eine der größten der Welt, eine Grundfläche von 3500 m² zu 7570 m², sie bauen seit 1935 und sind immer noch nicht fertig.), dann davor rumsitzen und dann zum Zug und schlaaaafen.....




Als wir am nächsten Morgen in Budapest ankamen, waren wir immer noch ganz schön platt. Und es war schon wieder halb 6 am Morgen... Was macht man um so eine Zeit? Außerdem wurde uns während dieser Reise so langsam klar, dass wir uns wohl ein bisschen übernommen hatten. Hätten wir insgesamt so drei Tage mehr gehabt, wäre wahrscheinlich alles super gewesen. Dann hätte man hier und da mal eine Nacht länger bleiben können, hätte auch mehr Zeit gehabt, das Ganze geistig mehr zu verarbeiten... So hatte ich zumindest echt das Gefühl, von einem Ort zum anderen zu hetzen, ohne die Sachen richtig ablegen und sortieren zu können. Außerdem war ich noch dazu ganz schon groggy wegen einer fiesen Magengeschichte, die in unserem Workcamp um sich gegriffen hat und mich genau bei der Abreise aus dem Camp erwischt hat. Und so haben wir beschlossen, nicht noch nur des Durchhaltens willen einen Tag in Budapest „totzuschlagen“ (obwohl Budapest ja sehr schön ist), sondern gleich morgens weiter nach Hause zu fahren. Und da ich jetzt echt noch ein bisschen echter Erholen brauchte, habe ich beschlossen, noch ein ganz entspanntes Eltern-Wochenende in Alsfeld dranzuhängen. Welch herrliches Nichtstun! So genossen habe ich Alsfeld glaube ich noch nie. Im Garten sitzen und lesen, Kaffee trinken mit meinem Papa, Kaffee trinken und Kuchen essen gehen mit meinem Papa, weiter im Garten sitzen, ins Freibad gehen, mit Mama und Malka spazieren (ok, das war der abenteuerlichste Teil des Wochenendes – Spazieren mit dem schönsten Jungdrachen der Welt!), mit meinen Eltern ins Kino gehen und das weltbeste Popcorn essen (Die drei Muske(l)tiere – schicke Männer mit Hüten! Und Orlando Bloom als Bösewicht, na sowas!)

Jetzt bin ich wieder in Berlin, aber mein Kopf ist hier immer noch nicht angekommen. Und ich glaube, ich will auch noch gar nicht ankommen. Diese Reise war so beeindruckend. So viele neue Eindrücke, so viele neue Gedanken. Und so viel, was mir noch nachhängt, über das ich noch nachdenken muss.
Außerdem habe ich gemerkt, dass mir aus meinem Freiwilligenjahr echt etwas fehlt. Und zwar der Kontakt zu jungen Leuten von überall auf der Welt. Klar waren diese EVS Seminare immer irgendwie nervig.
„Was bedeutet die EU für mich?“ „Was habe mir von meinem EVS erwartet?“ „Was habe ich während meines EVS gelernt?“
Aber trotzdem hat man ständig spannende neue Leute aus anderen Ländern getroffen, Freunde gefunden, ganz neue Perspektiven entdeckt und die Welt ein bisschen besser kennen gelernt. Und ich mag dieses „Seminar-und-Camp-Feeling“ eigentlich. Da trifft man Leute, die man noch nie vorher gesehen hat. Man kennt sich überhaupt nicht. Und doch verbringt man so viel Zeit auf so engem Raum miteinander, dass es sich nach nur wenigen Tagen so anfühlt, als würde man sich schon ewig und ganz genau kennen. Und man lernt sich ja auch ganz anders kennen. Man weiß so viel über die Leute, was man sonst nur von engen Bekannten weiß. Wie sieht derjenige morgens direkt nach dem Aufstehen aus? Morgenmuffel? Frühstücker? Schnarcht er? Wenn ja, laut und grollend, oder ist es eher so ein Luftpumpen-Pfeifen? Was isst der andere gerne? Schmatzt er? Und das alles, ohne die Dinge zu wissen, die man normalerweise eher früher kennen lernt. Hat der andere Geschwister? Wo und wie wohnt er? Wie benimmt er sich so in der Öffentlichkeit? Man lernt sich auf einer viel privateren Ebene kennen, und der „Smalltalk“ fällt irgendwie (zumindest in einem gewissen Maße) raus.
Und dadurch werden diese Sachen so super intensiv. Echt „Einschübe“ ins normale Leben. Man ist für 2 Wochen irgendwo, hat  keinen Kontakt zu seinem normalen Alltag, dafür diesen superintensiven. Und wenn man dann nach Hause fährt, fühlt sich das so unecht an, wie eine Reise zurück in eine lange zurückgelassene Wirklichkeit. (Werde ich jetzt kitschig?) Deswegen sind die Abschiede auch immer so traurig. Weil man wirklich etwas zurücklässt. Jeder kehrt in sein Leben zurück, und schon nach kurzer Zeit überlagert der diese 2 Wochen, man denkt nicht mehr so viel daran, und meistens flauen dann auch diese Kontakte schnell wieder ab. Nicht, dass sie verloren gehen. Aber sie verlieren doch diese besondere Intensität.
Aber jetzt habe ich gerade ganz viel Lust, wieder in solche Geschichten einzusteigen. Vielleicht selber ein Workcamp leiten? Mal bei EVS und anderen solchen Vereinen nachfragen, wie das mit so Teamer-Geschichten aussieht? Seminare leiten? Jedenfalls irgendwie wieder in diesen Freiwilligen- und Internationale-Begegnungen-Kram einsteigen...
Auch toll war die Atmosphäre beim Reisen. Überall trifft man andere Backpacker, die Züge sind voller Interrailer und man macht sich gar nichts draus, dass man dreckig ist und stinkt – die anderen sind auch nicht besser, und die Züge erst recht nicht. Erst, als ich in diesem geschniegelten österreichischen Zug saß, habe ich mich unwohl gefühlt... Sowohl Zug als auch Leute um mich herum waren so ordentlich und geleckt und steril! Das gilt ja schon für den Aufbau des Zuges... Während man in deutschen (und österreichischen) Zügen immer in Zweierreihen hintereinander sitzt und stumpf vor sich hin starrt, saßen wir überall unterwegs in staubigen Plüsch-Sechser-Abteilen, in denen man irgendwie viel zwangloser und automatischer ins Gespräch kommt. Alles viel weniger luxuriös, dafür viel natürlicher und kommunikativer.

Und wieder einmal typisch Dinah: Ich habe aus diesem Urlaub jede Menge zu Denken mitgebracht. (Als ob mein Kopf nicht schon so genug am Rattern wäre...)
Allem voran hat mich tatsächlich dieses Georgische-Jungs-Deutsche-Mädchen-Ding beschäftigt. Und die Frage nach der Gültigkeit verschiedener Werte.
Wir sind in einer Gesellschaft großgeworden, in der es für uns selbstverständlich ist, dass wir als Frauen auch unsere Rechte haben, dass Frauen nicht alleine fürs Putzen und Kochen zuständig sind und dass wir über unser Leben selber bestimmen. Das sind ja auch gute Werte, die ich gar nicht in Frage stellen will.
Aber jetzt kommen wir in ein Land, in dem das Gesellschaftsbild nun mal ein bisschen anders ist. In dem der Konsens über das Rollenbild und das Rollenverhältnis nicht der gleiche ist, wie bei uns. Und in so einem Workcamp trifft das nun mal auf einander. Zum Beispiel bei der Frage, wer die supereklige Toilette putzt. Und ich meine ja nicht, dass wir uns nun den Vorstellungen der Jungs, das sei nun mal Frauensache, unterwerfen sollen. Ich denke nur, man muss dabei mehrere Sachen im Hinterkopf haben.
Erstens ist das nichts, was die Jungs „böse gemeint“ haben oder was gegen uns gerichtet war. So sind die aufgewachsen, das kennen sie so. Ich glaube, Iveri und Beka zumindest haben in ihrem Leben noch nie einen Spülschwamm in der Hand gehalten (sonst wäre Iveri sicher nicht auf die Idee gekommen, das Geschirr mit Chlor zu spülen...)
Und wie kommen wir, die wir immer von Toleranz und Respekt anderen Kulturen gegenüber reden eigentlich dazu, in so ein Camp zu kommen und zu erwarten, dass unsere Wert automatisch die für alle gültigen sein sollen? Klar sollen wir unsere Werte nicht einfach verwerfen. Aber wir sollten mal überlegen, was wir eigentlich von den anderen verlangen, und ob wir ihnen dafür auch etwas anbieten. Sie sollen gefälligst unsere Werte und unsere Gesellschaft akzeptieren und uns repsektieren – aber tun wir das mit ihnen auch?`Versuchen wir überhaupt, zu verstehen, was sie warum tun und wie das in ihrer Gesellschaft für gewöhnlich so aussieht? Oder nehmen wir das ganze sofort als persönlichen Angriff, als gegen uns als Person gerichtet auf? Als Beleidigung?
Der springende Punkt ist denke ich, zu verstehen, dass es nicht um gut und böse geht. Und dass hier zwar zwei sehr gegensätzliche Anschauungen aufeinandertreffen, dass aber keine der beiden Seiten von vorn herein die „richtige“ oder die „allgemein gültige“ ist. Man muss halt miteinander reden. Sich seine Standpunkte erklären. Der eine erzählt, wie es bei ihm ist, und der andere genau so. Und dann kann man im Dialog einen Weg finden, wie man miteinander umgeht. Aber den eigenen Weg jemand anderem aufzwingen oder vorsetzen? Das ist in meinen Augen nicht nur der falsche Weg, das wird mit Sicherheit auch nicht funktionieren. Damit programmiert man den Widerstand ja geradezu vor.
Alles Dinge, die sich gut im Kopf denken lassen und die in der Umsetzung dann doch so schwer sind... Wenn man dann diese Jungs vor sich hat, eigentlich soll gerade das ganze Camp vor der Abreise aufgeräumt und geputzt werden, und die Drei sitzen in der Hängematte und drehen Däumchen... Ruuuhig, durchatmen, nicht explodieren... „Ihr Idioten!!!“
Aber wie sagt schon dieses jugoslawische Sprichwort:
„Der Mensch lernt, solange er lebt, und stirbt doch unwissend.“ (danke, Google!)
Aber so lange er sich Mühe gibt, wird das Unwissen vielleicht doch immer noch ein bisschen kleiner...


Und wer noch mehr sehen will:

Summer 2011 - Georgia, but not only

Montag, 8. August 2011

Sommer? Sommer.

Was ist das nur dieses Jahr.
Die einen beschweren sich über den fehlenden Sommer. Die anderen beschweren sich darüber, dass sich alle über den fehlenden Sommer beschweren. So hat also jeder was zu meckern. Also könnten ja auch eigentlich alle zufrieden sein. (Dann gäbs aber wieder nix zu meckern, also geht das auch nicht.)
Aber ich sollte nicht so über die Meckerer herziehen, ich mecker ja selber. So ein Scheiß. Das ist doch kein Sommer. Regen, Regen, Regen. Und da fährt man mal weg, will sich schöne und nicht-so-schöne, große und nicht-so-große, bekannte und nicht-so-bekannte polnische Städte angucken... Und was passiert? Am ersten Tag regnet es ununterbrochen. Am zweiten Tag regnet es ununterbrochen. Am dritten Tag... Naja, ihr könnt es euch denken. Jeden Tag ein neuer Ort, manchmal auch zwei. Jeden Tag eine neue Stadtführung. (Manchmal auch zwei). Und das alles unter einem Meer aus Regenschirmen, mit nassen Füßen, nassen Hosen und nassen Nasen. Na danke.
Und doch gibt es auch in dieser tristen, regentriefenden Geschichte einen Wendepunkt. Im wahrsten Sinne des Wortes einen Hoffnungsschimmer. Dieser wurde mir sogar von Ania prophezeit.
Bei Ania habe ich damals in Warschau gewohnt. Genau genommen bei Ania und Ania. Und eine der bedien Anias war eine Woche, bevor ich mich jetzt eine Woche lang auf die Spur der ehemaligen ostpolnischen Shtetl begeben habe, bei mir in Berlin zu besuch. Und wir haben - wie sollte es anders sein - über das Wetter, den fehlenden Sommer und den im Übermaß vorhandenen Regen geschimpft. Und dann meinte Ania, in Polen sei das genau so. Aber dafür wäre in Polen normalerweise der August der schönste Monat. Und was soll ich sagen?
Ende Juli fahre ich nach Polen. Regen, Regen, Regen. Dann fängt der August an. Und prompt erstrahlt Polen in sommerlichem Sonnenschein, plötzlich kann man voll Seelenfrieden an der Weichselpromenade spazieren. Bei der Stadtführung in Warschau muss man sich sogar einen Schal um die Schultern wickeln, um nicht so rot wie ein Feuerwehrauto zu werden. Und dann sitzt man am letzten Abend mit einem Bierchen im netten Hinterhof-Café auf der Ulica Chmielna mitten im Zentrum Warschaus und wartet darauf, dass es Zeit ist, den Koffer in Richtung Hauptbahnhof (hässlich!) zu rollen. Das ganze mit einem verträumten Lächeln auf dem Gesicht. Und einem neu aufkommenden Bewusstsein dafür, wie gespalten das eigene Verhältnis zu dieser Stadt ist. Eine hässliche Stadt. Eine unstrukturierte Stadt. Eine hektische Stadt. Eine Stadt ohne Zeit, ohne "einfach genießen". Eine Stadt, in der man sich selber und den Menschen um sich herum irgendwie immer fremd ist (und bleibt). Aber auch eine sonnige Stadt. Eine vertraute Stadt. Eine ganz eigene Stadt. Eine Stadt mit verborgenen sehr charmanten Ecken und Winkeln. Wenn man ihnen denn die Chance gibt, sich von einem entdecken zu lassen. In der Sonne. Eigentlich kann die Seele bestimmt überall baumeln. Wenn man sie lässt.

Aber trotzdem. Regen doof. Sommer bisweilen dieses Jahr auch sehr doof. Seht selbst:


Regen in Zamość.




Rathaus in Zamość unter Wasser


Regen bei Eliza in Piaski.
Viel davon

Regen in Lublin.

Aber dann: Sonnenschein in Kazimierz Dolny.

Und Liebende, die das (und sich) fotografisch festhalten

Und noch mehr Sonne und Liebende, hier in Lublin. Schön.


Gute Nacht. Auf dass morgen die Sonne scheint und die Liebe durch die Lüfte weht wie ein Sommersonnenstrahl.
Ähm...
Naja.
Auf dass morgen die Sonne scheint!