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Montag, 14. Oktober 2013

Liebe deinen Nächsten...



Unglaublich. Unglaublich! So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt und hoffe, dass ich es auch nie wieder erlebe. Es geht um meine Georgienreise von letzter Woche. Genau genommen um die Rückreise am Samstag, denn die Reise selbst war sehr schön. Die Gruppe war nett und das Wetter phantastisch; was kann man sich als Reiseleiterin mehr wünschen. Dann aber der letzte Tag... Geplant war, dass wir mit Ukraine International Airlines um 06:35 Uhr Georgischer Zeit (MESZ+2) in Tbilisi losfliegen und dann um 08:05 Uhr Ukrainischer Zeit (OESZ) in Kiew landen. Wir waren zu zwölft und hatten Anschlussflüge mit UIA nach Berlin (10:30 Uhr), Brüssel (10:15 Uhr), Frankfurt (11:10 Uhr) und München (irgendwann).

Am Flughafen in Tbilisi verlief alles reibungslos. Ziemlich müde, da wir um 03.45 Georgischer Zeit aufstehen mussten, taperten wir über den Flughafen. Wir checkten ein, passierten die Passkontrolle und den Security-Check. Da war es allerdings sehr voll und die Kontrollen waren sehr genau – im Schnitt jeder Zweite musste die Schuhe ausziehen, oft schon vor dem ersten Passieren des Metalldetektors. Ein junger, russischsprachiger Mann sorgte für etwas Wirbel, da er sich partout nicht von den drei Bierflaschen, zwei Plastikflaschen voll Wein und der Schnapsflasche in seinem Handgepäck trennen wollte. Doch dann war es geschafft. Die Maschine startete beinahe pünktlich. Ein Ukraine International Airlines Flug wie jeder andere. Nach  Kiew fliegen, dort ein paar Stunden im Transfer rumsitzen und sich langweilen, dann weiterfliegen. So war der Plan. 

In der Realität lag Kiew jedoch tief in Nebelschwaden versunken. So tief, dass wir nicht landen konnten. Unser Flug wurde zunächst nach Odessa geschickt. Anscheinend war nicht genug Treibstoff im Tank, um weiter zu kreisen. In Odessa landeten wir (nicht gerade sanft), das Flugzeug blieb auf dem Rollfeld stehen und wir warteten. Sobald sich der Nebel verzogen hatte, sollten wir zurück nach Kiew fliegen Aussteigen durfte niemand. Niemand vom Personal konnte (oder wollte) uns sagen, wie die Lage in Kiew sei und ob überhaupt eine Chance bestand, unsere Anschlussflüge noch zu erwischen.

Dann bekamen wir Anweisung, uns auf unsere Plätze zu setzen und die Gurte geöffnet zu lassen. Das Flugzeug wurde betankt, mit allen Passagieren an Bord. Meines Wissens nach müssen Passagiere während des Tankens eigentlich aus Sicherheitsgründen das Flugzeug verlassen. Nicht so bei UIA. Und wieder bestach das Personal durch beeindruckende Unfreundlichkeit. Eine Dame, die sich dem Steward mit den Worten „I need to get my connection flight“ näherte, wurde barsch mit den Worten „Not now. Now you need to sit.“ abgewiesen.

Irgendwann kam die Durchsage, dass wir nun nur noch auf das fehlende Personal, die richtigen Dokumente und die Starterlaubnis aus Odessa sowie die Bestätigung der verbesserten Wetterlage aus Kiew warten müssten und dann in vielleicht schon 15 Minuten weiterfliegen könnten. Da fuhr eine junge Dame von ihrem Sitz hoch, riss ihren Rollkoffer aus dem Handgepäck und stürmte nach vorne. Wir saßen noch 45 Minuten im Flugzeug herum, bevor wir abhoben. Später erfuhr ich, dass die junge Frau ohnehin von Kiew nach Odessa wollte und nun darauf bestand, auszusteigen. Das UIA-Personal wollte ihr das – verständlicherweise – nicht gestatten. Die junge Dame ließ aber nicht locker und diskutierte und bestand darauf, auszusteigen, so lange, bis extra für sein ein Einreiseverfahren eingeleitet wurde. Es kamen also wohl Einreisebeamte zur Passkontrolle, Papiere wurden ausgefüllt, eine Gangway wurde nur für diese Frau aufs Rollfeld gebracht, sie stieg aus, die Gangway wurde wieder weggebracht. Das Ganze dauerte etwa eine halbe Stunde.

Endlich hoben wir um etwa 11.30 Uhr ab und flogen nach Kiew, wo wir um etwa 12.15 Uhr ankamen. In der ganzen Zeit hatte das Personal von UIA noch einmal Wasser an die Reisegäste verteilt, mehr Entgegenkommen gab es nicht. Mehr Wasser gab es nur auf Nachfrage. So lief letztendlich ich mit einer Flasche Wasser und einigen Pappbechern zwischen den EOL-Reisenden umher und verteilte Wasser. Als wir wieder starteten, gab es keinerlei Erklärungen über die Lage in Kiew, über noch erreichbare oder verpasste Anschlussflüge und darüber, an wen man sich am Kiewer Flughafen wenden solle. Statt dessen wurde uns noch einmal erklärt, wie man eine Rettungsweste anlegt. Beim Aussteigen wurden wir dann mit einem „We hope you had a pleasant journey“ verabschiedet.
In Kiew wandte sich unsere 12köpfige Reisegruppe zunächst an den Transfer Information Desk, wo schon viele andere Fluggäste anstanden. Auf der Anzeigetafel sahen wir, dass bis auf den Flug nach Brüssel keiner unserer Flüge mehr angezeigt wurde. Der Brüssel-Flug hatte allerdings bereits mit dem Boarding begonnen. Die Brüssel-Reisende rannte los. Da wir nichts mehr von ihr gehört haben, gehe ich davon aus, dass sie es geschafft hat. (Ich bezweifle allerdings, dass ihr Gepäck mit ihr geflogen ist.) Wir anderen wurden angewiesen, durch die Passkontrolle zu gehen und uns im dritten Stock an den Schalter von UIA zu wenden. Diesen zu finden war nicht schwer: Vor dem Schalter drängten sich etwa 200 Menschen, die das selbe Anliegen hatten wie wir: Neue Flugtickets.

Da es keinen Sinn machte, sich mit 11 Personen anzustellen, wartete die Gruppe mit den Rucksäcken weiter hinten und ich stellte mich an. Allerdings kann man eigentlich nicht von anstellen sprechen, da es keine Schlangen gab. Die 200 Menschen drängten und schubsten und schoben sich in totalem Chaos vor den Fenstern des Schalters, hinter dem drei Frauen saßen und verzweifelt versuchten, dem Ansturm Herr zu werden. Es waren Passagiere aus unserer Maschine und aus mindestens zwei anderen, ebenfalls verspäteten Maschine (eine muss aus Simferopol gekommen sein.) Weder diese Frauen noch irgend jemand anderes vom UIA- oder Flughafenpersonal sah sich genötigt, etwas Ordnung in dieses Gedränge zu bringen. Obwohl wir mit 3,5 Stunden Verspätung am Flughafen ankamen, war scheinbar niemand auf diesen Ansturm gefasst oder gar vorbereitet gewesen. Die Lage war nicht nur chaotisch, sondern durchaus gefährlich. Die Menschen schubsten sich hin und her und das Aggressionspotential war riesig, immer weiter steigend. Mehrmals war ich sicher, dass gleich eine Prügelei ausbrechen würde. Jeder versuchte, so schnell wie möglich so weit nach vorne wie möglich zu kommen.

Plötzlich brach dicht vor mir ein Mann zusammen und lag zuckend und Blut spuckend auf dem Boden. Ich war wie hypnotisiert. Ohne wirklich zu denken drehte ich mich um und ging mit meiner Gruppe. Ich zupfte einen meiner Reisegäste, der Arzt ist, am Ärmel und sagte monoton: „Komm mal mit. Da vorne ist gerade jemand zusammengebrochen...“ Erst, als wir wieder bei dem Mann ankamen und der Arzt versuchte, den Mann wieder zum Atmen zu bringen, realisierte ich wirklich, was da gerade passierte. Eine junge Frau aus meiner Gruppe und ich versuchten, die Menschenmenge ein wenig von den am Boden liegenden Mann fernzuhalten. Drei Männer versuchten, dem Mann zu helfen. Es schien sich um einen epileptischen Anfall zu handeln.

Einige Menschen standen da und gafften, doch die meisten versuchten weiter, vorne zum Schalter zu kommen. Dabei kletterten sie auch über den am Boden liegenden Mann. Es dauerte 15-20 Minuten, bis endlich ein Sanitäter kam, und dann noch einmal 15-20 Minuten, bis endlich ein Rollstuhl gebracht wurde, um ihn wegzubringen. Bis dahin blieb der Mann mit dem Gesicht zum Boden mitten in der Menge liegen. Noch immer griffen weder UIA-Personal noch die Security ein, um die Menge zu beruhigen und zu ordnen. Es war unbeschreiblich, als ob es um Leben und Tod ginge. Wäre ich allein an diesem Flughafen gewesen, niemals hätte ich mich dem ausgesetzt. Ich hätte mich an den Rand gesetzt und gewartet, bis sich die Lage beruhigt, und dann hätte ich den nächsten Flug nach Hause genommen. Egal, ob Samstag, Sonntag, oder wann auch immer. Aber ich war nicht allein, und ich musste mich um zehn Reisegäste kümmern. Also stand ich inmitten dieser Horde durchdrehender Menschen.

Immer wieder überkam mich Sorge, dass es irgendwann zu einer Massenhysterie kommen und jemand niedergetrampelt werden würde. Selbst Menschen, die endlich ihr Ticket hatten, konnten kaum aus der Menge heraus. Niemand wollte Platz machen, da man dadurch ja seinen Platz verlieren würde, so sehr wurde gedrängelt.  Als ich endlich mit den Pässen aller Mitglieder meiner Gruppe am Schalter ankam, wurde ich unter lauten Protesten einiger Umstehender, die mir vorwarfen, ich hätte gedrängelt, angegangen. Plötzlich griff mich jemand am Hosenbund und fing an, mich nach hinten zu ziehen. Unfassbar! Man konnte garnicht drängeln, es war unmöglich, die eigene Richtung zu bestimmen. Wurde von rechts geschoben, musste man eben nach links ausweichen. Es gab keine Schlange, in der man sich hätte vordrängeln können. Irgendwann gelang es mir doch, meine Pässe nach und nach der UIA-Angestellten zu reichen und neue Tickets zu verlangen. Es gab keinen Flug mehr nach Berlin, also verlangten wir Tickets nach München. Der Flug sollte um 17.15 (OESZ) gehen und um 18.45 (MESZ) landen.

Um den Anschluss von München nach Frankfurt bzw. Berlin wollten wir uns in München kümmern. Der Andrang dort war zu groß und die UIA-Mitarbeiterinnen waren deutlich überfordert. Hätte ich noch angefangen, unterschiedliche Anschlussflüge für unterschiedliche Personen zu fordern – ich bin sicher, die Menschen hätten mich mit irgendwo herbeigeschafften Knüppeln niedergeschlagen. Diese Tickets zu bekommen war schon schwierig genug. Auch unsere alten Boardkarten bekamen wir nur auf nachdrücklichen Wunsch wieder ausgehändigt. Irgendeine Art Bescheinigung der UIA über die Verspätung und unsere Ansprüche bekamen wir nicht, und es war auch unmöglich, danach zu verlangen. Die Frauen am Schalter standen bereits kurz vor dem Nervenzusammenbruch (in etwa so wie ich) und die Massen wurden nicht ruhiger.

Es war ungefähr 15.15 Uhr, als ich mir einen Weg aus der Menge heraus erkämpfte. Wir waren zu Schalter 1 geschickt worden, um nach unserem Gepäck zu fragen. An Schalter 1 schickte man uns zu Schalter 10. An Schalter 10 schickte man uns zum Sperrgepäck, wo unsere Koffer „irgendwann“ ankommen sollten. Dort stand ein Mann, der offensichtlich keine Ahnung von nichts hatte, sowie weitere Angestellte, die allerdings für Gepäckannahme und nicht für Gepäckausgabe zuständig waren und somit gar nicht auf die Idee kamen, sich einzumischen. Das einzige, was der junge Mann uns sagen konnte, war, dass die Koffer irgendwann kommen würden. Vielleicht in 10 Minuten, vielleicht auch in 30 oder in einer Stunde. Nach und nach wurden irgendwelche Koffer aus mehreren verschiedenen Flugzeugen gebracht und auf einen großen Haufen geschmissen. Wir hatten es allerdings sehr eilig, da wir ja auch noch bei der Lufthansa für unseren Flug nach München einchecken mussten. Und ohne unsere Koffer nach München zu fliegen war nicht möglich, da wir ja nicht in München bleiben würden. Und von Berlin wieder nach München zu fahren, um meinen Koffer abzuholen, ist wirklich zu viel verlangt. Außerdem konnte uns niemand garantieren, dass unsere Koffer auch wirklich nachgeschickt würden.

Immer wieder baten wir das Personal auf Englisch und Russisch, doch bitte die Namen der Kofferbesitzer oder die Nummer der Gepäck-ID-Zettel vorzulesen. Dieser Vorschlag wurde rigoros ignoriert. Stattdessen brüllten sie die sich drängelnden Passagiere an, gefälligst Abstand zu halten. Selbst, als einige meiner Reisegäste ihnen erklärten, sie könnten ihren Koffer hinter der Absperrung bereits sehen, hörten sie nicht zu und brüllten nur weiter ihre Aufforderungen. Auch hier drohte die Situation immer weiter zu eskalieren.

Ich selbst lief die ganze Zeit zwischen UIA- und Lufthansa-Schalter hin und her. Bei der Lufthansa fragte ich nach, ob wir Gepäck auch nach dem Einchecken noch aufgeben könnten und bis wann der Check-In liefe, bei der UIA versuchte ich, jemanden zu finden, mit dem ich in Ruhe sprechen könnte. Ich fand heraus, dass wir nur noch knapp eine halbe Stunde zum einchecken hatten und schickte meine Reisegruppe nach und nach zum Schalter, damit einige nach den Koffern suchen konnten, während alle nach und nach eincheckten. Bei der UIA fand ich eine junge Dame, die mir zuhörte, dann ihren Check-in-Schalter tatsächlich schloss und mich zum Gepäck begleitete, mir aber auch nicht helfen konnte. Unsere Koffer tröpfelten langsam ein. Nach und nach fanden Mitglieder meiner Gruppe ihre Koffer und kämpften mit dem Personal um die Freigabe.

Schließlich fehlten noch 5 Koffer (von 11) und wir hatten nur noch 5 Minuten zum Einchecken. Die Menschen wurden immer aufgeregter und lauter, Passagiere und Flughafenpersonal brüllten sich an, Menschen brachen in Tränen aus. Ich entdeckte eine Frau hinter der Absperrung und erklärte ihr unsere Situation. Dann drückte ich ihr unsere Gepäck-ID-Zettel in die Hand und sie lief tatsächlich nach hinten, um unsere Koffer zu  suchen. Endlich begannen auch die Angestellten, die Namen auf den Gepäck-ID-Zetteln vorzulesen, wenn sie einen neuen Koffer brachten. Gerade noch rechtzeitig bekamen wir die letzten Koffer. Beim Einchecken von gab es jedoch ein neues Problem: In meiner Gruppe gab es Mutter und Tochter, und die Frau am Ticketschalter hatte es irgendwie fertig gebracht, beide neuen Tickets auf den Namen der Mutter auszustellen. Die Lufthansa-Mitarbeiterin konnte das im System nicht ändern.

Nach mehreren Anrufen bei UIA und verzweifelten Versuchen sah es zunächst so aus, als könnte die Tochter ohne ein neues Ticket nicht mitfliegen. Dafür hätte sie sich noch einmal in diesem Tor zur Hölle anstellen müssen. Im letzten Moment gelang es der Lufthansa-Angestellten dann doch noch, das Ticket zu ändern. Wir passierten die Pass- und Sicherheitskontrolle und kamen genau rechtzeitig zum Boarding am Gate an. Pünktlich und reibungslos flogen wir nach München. Ich war selig. Quasi gleich doppelt im Himmel. Ich sprach den Steward an, da ich hoffte, er hätte einen guten Tipp für uns. Er hörte mir zu und wir taten im offensichtlich sehr Leid. Als er mir ganz freundlich antwortete, brach ich fast in Tränen aus. Der erste Mensch seit acht Stunden, der mich nicht anschrie! Dann bekamen wir etwas zu essen – keiner von uns hatte bisher etwas richtiges gegessen. Und dann bekam ich ein Bier. War das schön... ich liebe die Lufthansa!

In München trennte sich unsere Gruppe, da mehrere Reisegäste beschlossen, sofort mit Flugzeug oder Bahn weiterzufahren. Einige hatten wichtige Termine. So wie der Arzt, der am Montag mehrere Patienten zur Darmspiegelung bestellt hatte. Diese Vorstellung – ein Wochenende lang abführen und nichts essen, dann kommt man in die Praxis, und der Arzt ist nicht da... Wie dem auch sei.

Wir anderen gingen sofort zur Information und fragten nach dem UIA-Schalter. Einen solchen gibt es aber in München nicht, wir wurden an Aerogate verwiesen, welche die Flüge von UIA in München abwickeln. Am Schalter dort erklärten wir unsere Situation. Die dort arbeitende Dame fing an zu lachen. „Tut mir Leid, dass ich jetzt lache; ich kann das gar nicht glauben!“ Auch sie war vollkommen perplex. Allerdings erklärte sie, dass sie uns keine Tickets im Namen von UIA ausstellen könne. Es gebe noch einen Lufthansaflug gegen 22 Uhr. Dann begann sie, herumzutelefonieren. Sie rief letztendlich den Verantwortlichen von UIA in Deutschland, der von dem ganzen Chaos in Kiew noch gar nichts wusste, sogar zuhause an. Der wiederum müsse erst in Kiew anrufen und sich informieren, dann wieder sie anrufen, und dann könne man sehen, ob wir noch Plätze in diesem Flugzeug bekommen könnten.

Meine Reisegruppe hatte inzwischen telefoniert und herausgefunden, dass es um 22.13 Uhr einen Nachtzug von München nach Berlin gab, der für uns alle passend war. Drei von uns wollten nach Berlin, die anderen hätten bei einem Flug nach Berlin noch weiter gemusst, was spät abends ohnehin schwer war. Ihr Ziel lag jedoch auf der Strecke des Zugs. Außerdem wollten wir vermeiden, dass irgendwann die Antwort von UIA kommt, dann aber das Flugzeug voll ist. Bis dahin wäre es auch zu spät für den Zug gewesen, denn es war schon 20.00 Uhr (MESZ) und vom Flughafen zum Bahnhof braucht man eine Stunde. Wir beschlossen also, Tickets für den Zug zu kaufen, damit wir nicht am Ende in München festsitzen. Als wir am Bahnschalter standen und klar war, dass es noch freie Plätze gab, konnte ich nicht mehr. Plötzlich kullerten die Tränen. Wie schon den ganzen Tag reagierte meine Gruppe ganz wunderbar. Sofort nahm mich jemand in den Arm, und dann bekam ich ein Stückchen Schokolade für die Nerven.

Um je 150€ ärmer fuhren wir dann zum Bahnhof, nahmen den Zug, setzten uns in unsere Komfort-Sessel (wirklich ganz bequem) und fuhren los. Um 08:04 Uhr am nächsten Morgen kamen wir in Berlin Hauptbahnhof an. Laut unserer Tickets hätten wir am Vortag um 11.40 Uhr in Berlin Tegel landen sollen. Das macht eine Verspätung von ca 20,5 Stunden. Ganz zu schweigen von dem Stress.

Aber ich muss sagen, am meisten schockiert haben mich die Menschen in diesem Getümmel. So selbstbezogen, so egoistisch, so aggressiv. Wir standen dicht an dicht, und ich konnte spüren, wie die Menschen um mich herum vor Zorn und Aufregung zitterten, wie schnell ihre Herzen schlugen, wie sie schwitzten. Zu viele dachten einzig und allein an sich und wollten sich durchsetzen, komme, was da wolle. Keine Spur von Rücksichtnahme. Und ich bin mir sicher, an (beinahe) jedem anderen Tag hätte man 90% dieser Menschen als nett und freundlich wahrgenommen. Aber in solchen Situationen kann man mal zeigen, was in einem steckt.

Schade.

Donnerstag, 8. September 2011

There and Back again...



...Zwar nicht die Reise eines Hobbits, aber wir waren trotzdem ganz fleißig unterwegs. Und Abenteuer haben wir auch erlebt, irgendwie... (Gut, dass meine Mutter das nicht vorher prophezeit hat! Immer diese Omen...)
Was haben wir denn nun gemacht?
3 Wochen. 7 Länder (wenn man die nur-durchfahr-Länder mitzählt)

Georgien-Türkei-Bulgarien-Serbien-Ungarn-Österreich-Deutschland

und die genaue Route?

Berlin --Flugzeug--> Tbilisi (Hauptstadt Georgiens) --Marshrutka (Minibus)--> Orpiri (Workcamp-Dorf) --Marshrutka--> Batumi (am Schwarzen Meer) --Marshrutka--> Sarpi --zu Fuß--> türkische Grenze --Marshrutka--> Hopa (1. Ort in der Türkei) --Bus (20 Stunden!!)--> Istanbul --Nachtzug--> Sofia (Bulgarien) --Nachtzug--> Belgrad (Serbien) --Nachtzug--> Budapest (Ungarn) --Zug--> über Österreich zurück nach Deutschland (ich könnte auch noch Lettland dazuzählen, wir haben in Riga den Flieger gewechselt!)

Aber vielleicht mal der Reihe nach... Was war das noch gleich?
Ein Workcamp! Antonia hat mir vor ein paar Monaten erzählt, dass sie im Sommer zu einem Workcamp nach Georgien fährt. Und da war ich mehr als neidisch - nicht nur, dass meine Urlaubsplanung so gut wie nicht existent war, nach Georgien wollte ich schon seit Jahren! Aber dann fiel mir auf, dass das ja eigentlich drei sehr gut zusammen passende Umstände sind – Ich fahre mit!

Meine ursprüngliche Idee von Urlaub für diesen Sommer war ja, irgendwo mit so wenig Plan wie möglich im Warmen rumzufahren. Ich glaube, Reisen ist viel intensiver, wenn man es einfach auf sich zukommen lässt... Wenn man nicht 2 Monate vorher weiß, wann man eigentlich genau wo sein wird und wo man da schläft und was man da tut und was der Reiseführer empfiehlt. Man lässt einfach das Jetzt auf sich wirken und denkt nicht schon daran, dass man sich beeilen muss, um rechtzeitig hier und dort zu sein. Man ist viel mehr im Moment. Doch, mal wieder: Zum Hitchhike-Urlaub hat mir dann doch der Mut (und die Begleitung) gefehlt.
Aber wir haben einen tollen Kompromiss gemacht:
Antonia und ich haben nur den Hinflug nach Tbilisi (den Namen "Tiflis" hat die Stadt von den Russen - die konnten Tbilisi nicht aussprechen! Die Georgier hören ihn aber eigentlich gar nicht gerne... genau wie die slawische Bezeichnung "Gruzia" für Georgien. Ihr Land nennen sie selbst "Sakartwelo"!) gebucht. Und zurück? Irgendwie anders.
Der grobe Plan (ja, doch wieder eine Art Plan...): Mit dem Bus von Georgien bis Istanbul, und von dort weiter mit unseren Interrail-Tickets (die wir sehr durchgeplant vorher gekauft hatten) im Zug. Das Tolle daran: Man hat zwar sein Ticket, aber man kann immer noch total frei entscheiden, wann und wohin man fährt. (Fast) ganz spontan. Was, hier ist es toll - ich bleib noch einen Tag. Nein, hier gefällts mir nicht, wir fahren doch gleich weiter.

Soweit also die Vorbereitungen. Und dann gings los.
Und: WOW!
Georgien ist ein fantastisches Land! Absolut umwerfend. Wunderschön, die tollste Natur, endlich Sommer, und überall unglaublich liebe Leute. So gastfreundlich und hilfsbereit. Wenn du - mit Händen und Füßen, von der georgischen Sprache versteht man NICHTS! - irgendwen fragst, wo die Marshrutka da und da hin fährt, dann wird diese Person nicht rasten und ruhen, bis sie dich in den betreffenden Minibus gesetzt hat. Und wenn sie dafür die halbe Stadt fragen muss, welche Nummer das ist und von wo er fährt. Außerdem sagt sie dem Busfahrer noch, er soll dir sagen, wo du aussteigen musst. Und dann bekommst du vielleicht auch noch eine Nektarine zum Abschied in die Hand gedrückt.

Unser Start in Tbilisi war – früh. Wir kamen irgendwann nachts um halb 5 am Flughafen an. Dann hat uns direkt ein Taxifahrer aufgegabelt, der ganz wild darauf war, uns in die Stadt zu bringen. Auch, wenn er echt total nett war – hätte ich VOR dem Losfahren gesehen, dass sowohl Windschutzscheibe als auch Seitenspiegel ein reines Trümmerfeld und keine Scheiben waren, wäre ich vielleicht nicht eingestiegen... Was gar nicht so gut gewesen wäre. Unser Taxifahrer war nämlich zufällig ein Freund von Irine Japaradize, der Besitzerin des von uns auserkorenen Homestays. Er brachte uns also nicht nur bis vor die Haustür, er hat auch unsere Taschen hochgetragen und die gute Frau für uns aus dem Schlaf geklopft.
Was für ein Anblick... Irine vermietet Betten in ihrer zweistöckigen Wohnung. Sie selber – eine recht „kompakte“ Frau – sitzt oder liegt immer rauchend auf irgend einem Sessel oder Sofa herum (oder kocht Suppe – rauchend). Und wenn ich sage, dass sie IMMER raucht, dann meine ich das auch so. Sogar beim Schlafen!
Außerdem hätte sie gute Chancen auf den Weltmeistertitel im Tetris. Egal, wohin man in dieser Wohnung guckte, wohin man sich drehte: Überall standen Betten. Überall! Große Betten, kleine Betten, Doppelstockbetten, Klappsofas, Schlafsofas, Doppelbetten, aufblasbare Betten... Sogar auf dem Balkon standen Betten! Ich glaube, als wir da waren, hatte Irine etwa 54 Leute zu Gast...

Betten auf dem Balkon

Dann starteten wir – nach einem kurzen Nickerchen in zweien der abertausenden Betten – in unseren Marathon-Tag in Tbilisi. Morgens haben wir uns mit Armani, einem Bekannten von Gerrit getroffen. Der hat uns fröhlich und mit viel Begeisterung den ganzen Tag auf Trab gehalten, damit sich der kurze Besuch in Tbilisi auch lohnt. Also, Straßen entlang, Berge hoch und wieder runter, Kirchen und Denkmäler angucken, auf steile, schmale Treppen steigen (da hab ich dann mal von unten zugeguckt...), erste Georgisch-Lektionen bei Minz-Limonade im von Gerrit empfohlenen Café, Chatshapuri (Brotfladen mit Käsefüllung) und Khinkali (mit Fleisch und Brühe gefüllte Teigtaschen) essen (und dabei die richtige Technik lernen – die ich aber keinen Georgier habe benutzen sehen, immer nur die ambitionierten Reisenden) und und und... Und das alles bei – SOMMER! Endlich Sommer, das hat ja dieses Jahr auch lange genug auf sich warten lassen.....


Blick über Tbilisi
Am nächsten Tag gings dann früh weiter. Auf Richtung Workcamp!
Wir sind also zu der Metrostation gefahren, von der jede Menge Marshrutkas abfahren – unter anderem Richtung
Kutaisi. Das ist die zweitgrößte Stadt in Georgien. Hm. Und jetzt? Zwar steht an jeder Marshrutka, wohin sie fährt... aber wir konnten (und können) leider keinen einzigen Buchstaben der georgischen Schrift entziffern! Gott sei Dank dauerte es etwa 10 Sekunden, bis wir von jeder Seite Männer „Kutaisi?!“ rufen hörten. Gerettet! Während wir auf die Abfahrt unserer Marshrutka warteten, haben wir uns sehr nett (und vor allem mit Händen und Füßen) mit einer georgischen Frau unterhalten, die allen möglichen Kleinkram verkaufte – einzelne Kaugummis, Zahnbürsten, Garnspulen, Taschentücher, Zigaretten... Die war ganz begeistert von uns zwei Deutschen Mädchen. So begeistert, dass sie kurzerhand ihren Sohn irgendwo aus der Menge zauberte, um ihn uns vorzustellen (bzw. anzupreisen). Wir haben nicht ganz verstanden, ob er gerade vom Frisör kam und deswegen so ausgesprochen gut aussah, oder ob ihm der Frisörsalon um die Ecke gehört... Dann mussten wir aber in unsere Marshrutka klettern und hatten deswegen keine Zeit mehr, das noch herauszufinden. Allerdings redete die Frau dann noch kurz mit dem Mann, der unsere Marshrutka rausgwunken hat – und bevor wir abfahren durften, mussten wir noch unsere Emailadressen für die gute Frau auf einen Zettel schreiben. So knüpft man Kontakte!
Sind wir nicht hübsch?
Dann ging die Fahrt los. Und was für eine Fahrt! Diese Marshrutkafahrer sind echt rücksichtslos... Gegenverkehr? Egal, man überholt trotzdem. Die Straße ist ja breit genug. Und gebremst wird nie. Doch, aber nur für die Kühe, die überall am Straßenrand rumstehen und manchmal eben auch mitten auf der Straße. Manchmal liegen sie auch auf der Straße. In dem Fall muss der erboste Marshrutkafahrer sogar anhalten, aussteigen und die Kuh verjagen.
In Kutaisi haben wir dann eine zweite Marshrutka bestiegen, die uns nach Orpiri gebracht hat. Orpiri ist das Dorf, in dem unser Workcamp stattfand.
Und was für ein Dorf! So habe ich mir immer Dörfer in Märchen vorgestellt. Mit ein bisschen Ost-Touch. Kein Internet, überall sitzen irgendwelche Leute in Grüppchen im Schatten zusammen und spielen Backgammon, alle Männer rauchen ununterbrochen. Es gibt drei kleine Läden, die alle das gleiche verkaufen. Mehl, Reis, Brot, Tomaten, Käse, Bier. (Den Chacha gabs woanders. Das ist der schwarzgebrannte georgische Schnaps... mit bis zu 70% Alkohol... Huuuuuui!)
Aber wir hatten trotzdem einen Lieblingsladen – denn nur in dem einen Laden sprach die Frau russisch. Und das ging dann doch noch mal besser als georgisch....
Einer der Läden. Und rauchende Männer.
Gegenüber von dem Haus, in dem wir gewohnt haben, wohnt ein altes Ehepaar. Die beiden sitzen den ganzen Tag in ihrem Hauseingang, gucken Fernsehen und keifen irgendwas (für uns unverständliches) über die Straße. Die beiden sind aber total nett, sie klingen nur nicht so. Aber die Frau hat uns immer irgendwas selbst Gebackenes oder Gekochtes vorbei gebracht und einmal war sie auch mit ihrer Kuh zu Besuch. Da lag Antonia gerade auf der Wiese und hat geschlafen, und als sie die Augen aufgemacht hat, stand da eine Kuh und hat sie angeglotzt. Ein schöner Anblick zum Aufwachen! Ich hingegen habe meine Liebe zu Schweinen entdeckt. Die sind ja so süß, wenn sie grunzen! Und dann laufen sie da einfach so nett bei einem am Grundstück vorbei. Und manchmal haben sie so niedliche schwarze Stiefelchen an, wenn sie gerade in einer Matschpfütze rumgestapft sind. Ich will jedenfalls mal ein Schwein haben.



Da waren wir nun jedenfalls in unserem Workcamp. Die Teilnehemer waren weniger gemischt, als erwartet (und in den Camps davor und danach war es wohl auch anders) – eine tschechische Campleiterin, Jana, drei georgische Jungs , Beka, Iveri und Giorgi, und drei deutsche Mädchen – Eva, Antonia und ich. Und Roman, ein Tscheche, der eigentlich nur zu Besuch da war und dann doch bis zum Ende geblieben ist.
Diese Mischung sollte sich noch als sehr... spannungsreich entpuppen. Denn scheinbar nehmen es die orthodoxen Georgier sehr genau, wenn es um kein-Sex-vor-der-Ehe geht. (Was nicht heißt, dass sie sich nicht hübsch anziehen... die armen Jungs, überall hübsche Frauen, aber sie dürfen nicht ran...) Und – wahrscheinlich nicht zuletzt dank MTV, Lady Gaga und und und – hatten unsere Jungs die Idee, dass „Frauen aus dem Westen“ das ganze nicht nur lockerer sehen, sondern dass es eher so die Regel ist, mit jedem ins Bett zu gehen und dass das ja eh nichts weiter zu bedeuten hat. Die hatten also irgendwie im Hinterkopf, in diesem Camp dürften sie nun endlich mal ran. Als sich dann rausstellte, dass das nicht ganz so klappte, wie erwartet, waren sie doch recht enttäuscht. Und dazu kamen die unterschiedlichen Rollenbilder an sich. „Was? Klo putzen? Wir?? Habt ihr gesehen, das wir das waren, die im Suff daneben gepinkelt haben? Nein? Wie könnt ihr dann sicher sein, dass wir das waren? Hier gehen auch andere Leute aufs Klo...“
Aber nach vielen kleineren (und größeren) Streitereien und einer Einführung ins Tisch decken und abräumen, hat dann alles irgendwie funktioniert und sich eingespielt. Auch mit der Arbeit war es irgendwie anders, als wir erwartet haben. So richtig viel körperliche und sinnvolle Arbeit, das war unsere Vorstellung. Im Endeffekt haben wir nicht so besonders viel gearbeitet, und so richtig sinnvoll war das Meiste auch nicht. Wir haben in der Schule in Orpiri einen Graben gebuddelt und die (noch recht ansehnlichen) Fußböden gestrichen. (Wir Mädchen haben vor allem gestrichen, buddeln wollte der sehr fürsorgliche Hausmeister uns nicht zumuten.) Und dann haben wir den Zaun um unseren Garten neu gestrichen. Und vorher abgeschliffen, weil da noch so viel alte blättrige Farbe dran war. Abschleifen hieß aber hier, dass wir jeder ein Stück Schleifpapier in die Hand gedrückt bekommen haben und damit ein bisschen am Zaun rumgerubbelt haben. Aber so lernt man auch, mal ein bisschen über diesen deutschen Perfektionismus hinwegzukommen. Naja, dann streicht man halt bald nochmal... Wozu der Aufwand jetzt... und eine Schleifmaschine gibt’s in Orpiri eh nicht.



Dafür aber einen Spielplatz. Und auf diesem Spielplatz jede Menge Müll. Und damit kommen wir zur gelungensten Aktion unseres Workcamps. Jana hatte die Idee, für die Kids im Dorf einen Spiel-und-Spaß-Nachmittag zu organisieren, mit verschiedenen kleinen Spielen. Und zwar genau auf diesem Spielplatz. Also haben wir uns aufgemacht und einen Vormittag lang die leeren Bierflaschen, Chipstüten, Kippen, Plastikkrempel, Spielkarten und was da noch so alles lag einzusammeln. (Der Pickup, der hinterher die Mülltüten abgeholt hat, war bis oben hin vollgepackt....). Und nachmittags haben wir dann die „Orpiri Kids’ Olympic Games“ veranstaltet (für die wir am Tag vorher schon mit fantastischen selbstgemalten Plakaten geworben hatten!)
Ein voller Erfolg. Die Kinder aus Orpiri waren glaube ich vollzählig versammelt, und zwar von 6 bis 26 Jahren... Aber in Orpiri ist in der Ferienzeit auch sonst NICHTS los. Es war also DAS Event. Und die „Kinder“ hatten Spaß – bei Twister, Partner-Wettrennen (mit zusammengebundenen Beinen), Sachen-auf-die-Markierung-Werfen (das „Throwing-Up-Game“... :D  ) und so weiter und so fort.
Wir auch. Aber vor allem habe ich noch nie so viele Liebeserklärungen an einem Tag bekommen.... Und ich bin auch noch nie so oft am Stück gefragt worden, ob ich mich nicht mal mit jemandem fotografieren lassen will. Die spinnen, die georgischen Jungs! Außerdem haben sie den halben Fliederbusch ausgerissen, um uns Blumen zu schenken. Sehr süß. (Der arme Flieder.)



So viel zu unserer Arbeit. Am Wochenende haben wir tolle Ausflüge gemacht – Klöster angucken, sehr beeindruckende Tropfsteinhölen durchwandern (und zwar mit vor Staunen runterhängender Kinnlade), Kutaisi, Nationalpark, Strand... Dieses Land hat eine so beeindruckende Natur... Es ist nur etwa so groß wie Bayern, aber ich hatte dauernd das Gefühl, dass da genau deswegen unheimlich viel Landschaft und Natur auf kleine Fläche zusammen“geschoben“ ist... So dicht, so grün, so super intensiv! Überall grün, überall Berge, überall... alles! Und wenn Richtung Küste fährt, guckt man rechts aus dem Bus und sieht Meer. Und dann guckt man links aus dem Bus und sieht... mehr! Berge! Bäume! Flüsse! Wahnsinn. Guckt euch die Bilder an... Aber wie das immer so ist, das Atemberaubende, das Wahre kann so ein Foto gar nicht transportieren... Also fahrt lieber hin! (Und nehmt mich mit!!)



Nachdem das Workcamp vorbei war, sind Antonia und ich also aufgebrochen Richtung Türkei. Dafür sind wir erst mal nach Batumi gefahren, einer georgischen Stadt am Schwarzen Meer, nicht weit von der türkischen Grenze. Dort haben wir noch einen Tag am Strand gelegen. Dann ging es los: Auf nach Sarpi, dem letzten Ort auf der georgischen Seite, dann zu Fuß über die Grenze, wieder in einen Minibus nach Hopa, dem ersten türkischen Ort, und von da mit einem grooooßen und sehr modernen Bus nach Istanbul. Immer an der Schwarzmeerküste entlang, und das ganze in nur 20 Stunden! Reiner Luxus.... (schon nach den ersten 5 Stunden hat sich mein Hintern sehr plattgesessen angefühlt....)
Und dann, viel viel später, kamen wir in Istanbul an. Das heißt, wir fuhren nach Istanbul rein – am Busbahnhof kamen wir erst Stunden später an. Diese Stadt ist so riesig... Gar kein Ende! Egal wohin man guckt, überall Häuser... Und das nach 2 Wochen so viel Natur!
Aber Istanbul ist toll. Wir waren zwar nur 2 Tage da, und da mussten wir auch wieder erst mal ein bisschen ausruhen und alles ganz langsam angehen, aber die Stadt hat sowohl Antonia als auch mich schwer beeindruckt. Und jetzt freue ich mich erst recht, im Februar wieder hinzufahren und dann auch die Nicht-Touri-Ecken zu erkunden... Der Gewürzbasar zB ist zwar sehr schön, aber eben einfach nur für Touristen, alles ist sündhaft überteuert und so voll mit Touris... Aber ich werde schon die „echten“ Basare finden, jippie!
Wir haben dann doch auch so ein bisschen das Standard-Programm abgespult... Hagia Sofia, Blaue Moschee, Bootsfahrt auf dem Bosporus.. Und ununterbrochen Çay (türkischen Tee) trinken und Backgammon spielen. Und wir haben Ivo getroffen! Ivo ist der Sohn meines Cousins, und wie das in unserer Familie so ist, bekommen wir es eigentlich NIE hin, uns zu treffen. Dabei sind er und seine Geschwister noch die, die wenigstens in Deutschland wohnen. Und siehe da, was passiert, wenn man mal ganz weit weg ist von zuhause? Da verrät einem Facebook, dass Ivo auch da ist. Diese Welt....
I can see Turkey!



Von Istanbul sind wir dann mit einem Nachtzug weitergefahren nach Sofia. Und Sofia war zwar nett, aber nicht besonders aufregend. Am zweiten Tag sind wir ein bisschen rumgebummelt, wussten dann aber irgendwann auch nicht mehr so recht, was wir mit unserer Zeit anstellen sollen. (Wir waren aber auch müde und nicht so besonders kreativ.) Aber als wir eigentlich mit Magenknurren auf der Suche nach Mittagessen waren, haben wir einen ganz begeisterten Russen getroffen, der sich  mit seinen 7,5 Litern Bier im Arm und auf seinen Zug nach Moskau wartend dringend noch mit uns unterhalten wollte. Sprachbarriere? Ist doch schnuppe! (Zumindest "красивые девушки" , "schöne Mädchen" hab ich verstanden...) Und wir haben zielsicher den Hippie-Kram-Laden gefunden, der einem Deutschen gehört, der nach langem in-der-Welt-unterwegs-sein einen Laden in Sofia aufgemacht hat und aber die meiste Zeit irgendwo im Nichts rumhängt und eine Art „Camp“ in der Natur für lauter spirituelles Zeug und Zusammenleben aufbaut. Witzig. Und er hat geredet ooooohne Ende...

Am nächsten Abend ging es dann weiter Richtung Belgrad. Auch wieder Zug, diesmal kamen wir aber morgens früh um 5 an... Und wollten abends wieder weiter. Deshalb wollten wir unser Gepäck einfach am Bahnhof einschließen. Denkste, in Belgrad am Bahnhof gibt’s keine Schließfächer! (Haben abends festgestellt, dass es doch sowas in der Art gibt. Aber nicht sehr vertrauenserweckend, und auch nicht morgens um 5...) Also was nun? Ich hatte zum Glück die Adressen mehrerer Hostels direkt am Bahnhof aufgeschrieben, falls wir doch eine Nacht in Belgrad hätten bleiben wollen. Und nach einigem von-Hostel-zu-Hostel-Geschlurfe, einem kurzen Nickerchen auf einer Couch und dem Steckenbleiben in einem engen, aus den Untiefen der Sowjetzeit stammenden Fahrstuhl hatten wir unsere Rucksäcke tatsächlich in einem Hostel abgestellt und waren auf dem Weg in die Innenstadt, um etwas zum Frühstücken zu finden.
Derart gestärkt schlurften wir kurze Zeit später weiter, um uns Belgrad anzugucken. Und die Stadt ist echt toll! Schade, dass wir nur so wenig Zeit hatten. Es gibt eine ganz nette Bummel-Ecke, mit toll bemalten Häsuern und einem niedlichen Café neben dem anderen. Da kann man sich gar nicht entscheiden, in welchem man seinen Kaffee trinken soll! (Ja, ich weiß, mein Papa hätte sich einfach mit seinem Buch erst in das eine, dann in das nächste und immer so weiter gesetzt.) Aber auch, wenn man diese Ecke der Stadt verlässt und zwischen den weniger hübschen Häusern Belgrads rumläuft, sieht man überall plötzlich nette Cafés auftauchen. Und sowas hebt die Atmosphäre in einer Stadt doch gewaltig. Leider waren wir wirklich SEHR müde. Unser Tag bestand also im Groben aus Rumliegen vor der Belgrader Festung (wo wir auch die beiden Interrailer aus Frankreich, mit denen wir im Zug saßen, beim Aufwachen getroffen haben), Rumsitzen beim Mittagessen, Rumliegen in dem Park, wo die ganzen „jungen Leute“ sich rumtreiben (Mittagsschlaf für Antonia), Rumsitzen im Café und Backgammon spielen, größte orthodoxe Kirche Serbiens angucken (Platz für 10000 Leute, eine der größten der Welt, eine Grundfläche von 3500 m² zu 7570 m², sie bauen seit 1935 und sind immer noch nicht fertig.), dann davor rumsitzen und dann zum Zug und schlaaaafen.....




Als wir am nächsten Morgen in Budapest ankamen, waren wir immer noch ganz schön platt. Und es war schon wieder halb 6 am Morgen... Was macht man um so eine Zeit? Außerdem wurde uns während dieser Reise so langsam klar, dass wir uns wohl ein bisschen übernommen hatten. Hätten wir insgesamt so drei Tage mehr gehabt, wäre wahrscheinlich alles super gewesen. Dann hätte man hier und da mal eine Nacht länger bleiben können, hätte auch mehr Zeit gehabt, das Ganze geistig mehr zu verarbeiten... So hatte ich zumindest echt das Gefühl, von einem Ort zum anderen zu hetzen, ohne die Sachen richtig ablegen und sortieren zu können. Außerdem war ich noch dazu ganz schon groggy wegen einer fiesen Magengeschichte, die in unserem Workcamp um sich gegriffen hat und mich genau bei der Abreise aus dem Camp erwischt hat. Und so haben wir beschlossen, nicht noch nur des Durchhaltens willen einen Tag in Budapest „totzuschlagen“ (obwohl Budapest ja sehr schön ist), sondern gleich morgens weiter nach Hause zu fahren. Und da ich jetzt echt noch ein bisschen echter Erholen brauchte, habe ich beschlossen, noch ein ganz entspanntes Eltern-Wochenende in Alsfeld dranzuhängen. Welch herrliches Nichtstun! So genossen habe ich Alsfeld glaube ich noch nie. Im Garten sitzen und lesen, Kaffee trinken mit meinem Papa, Kaffee trinken und Kuchen essen gehen mit meinem Papa, weiter im Garten sitzen, ins Freibad gehen, mit Mama und Malka spazieren (ok, das war der abenteuerlichste Teil des Wochenendes – Spazieren mit dem schönsten Jungdrachen der Welt!), mit meinen Eltern ins Kino gehen und das weltbeste Popcorn essen (Die drei Muske(l)tiere – schicke Männer mit Hüten! Und Orlando Bloom als Bösewicht, na sowas!)

Jetzt bin ich wieder in Berlin, aber mein Kopf ist hier immer noch nicht angekommen. Und ich glaube, ich will auch noch gar nicht ankommen. Diese Reise war so beeindruckend. So viele neue Eindrücke, so viele neue Gedanken. Und so viel, was mir noch nachhängt, über das ich noch nachdenken muss.
Außerdem habe ich gemerkt, dass mir aus meinem Freiwilligenjahr echt etwas fehlt. Und zwar der Kontakt zu jungen Leuten von überall auf der Welt. Klar waren diese EVS Seminare immer irgendwie nervig.
„Was bedeutet die EU für mich?“ „Was habe mir von meinem EVS erwartet?“ „Was habe ich während meines EVS gelernt?“
Aber trotzdem hat man ständig spannende neue Leute aus anderen Ländern getroffen, Freunde gefunden, ganz neue Perspektiven entdeckt und die Welt ein bisschen besser kennen gelernt. Und ich mag dieses „Seminar-und-Camp-Feeling“ eigentlich. Da trifft man Leute, die man noch nie vorher gesehen hat. Man kennt sich überhaupt nicht. Und doch verbringt man so viel Zeit auf so engem Raum miteinander, dass es sich nach nur wenigen Tagen so anfühlt, als würde man sich schon ewig und ganz genau kennen. Und man lernt sich ja auch ganz anders kennen. Man weiß so viel über die Leute, was man sonst nur von engen Bekannten weiß. Wie sieht derjenige morgens direkt nach dem Aufstehen aus? Morgenmuffel? Frühstücker? Schnarcht er? Wenn ja, laut und grollend, oder ist es eher so ein Luftpumpen-Pfeifen? Was isst der andere gerne? Schmatzt er? Und das alles, ohne die Dinge zu wissen, die man normalerweise eher früher kennen lernt. Hat der andere Geschwister? Wo und wie wohnt er? Wie benimmt er sich so in der Öffentlichkeit? Man lernt sich auf einer viel privateren Ebene kennen, und der „Smalltalk“ fällt irgendwie (zumindest in einem gewissen Maße) raus.
Und dadurch werden diese Sachen so super intensiv. Echt „Einschübe“ ins normale Leben. Man ist für 2 Wochen irgendwo, hat  keinen Kontakt zu seinem normalen Alltag, dafür diesen superintensiven. Und wenn man dann nach Hause fährt, fühlt sich das so unecht an, wie eine Reise zurück in eine lange zurückgelassene Wirklichkeit. (Werde ich jetzt kitschig?) Deswegen sind die Abschiede auch immer so traurig. Weil man wirklich etwas zurücklässt. Jeder kehrt in sein Leben zurück, und schon nach kurzer Zeit überlagert der diese 2 Wochen, man denkt nicht mehr so viel daran, und meistens flauen dann auch diese Kontakte schnell wieder ab. Nicht, dass sie verloren gehen. Aber sie verlieren doch diese besondere Intensität.
Aber jetzt habe ich gerade ganz viel Lust, wieder in solche Geschichten einzusteigen. Vielleicht selber ein Workcamp leiten? Mal bei EVS und anderen solchen Vereinen nachfragen, wie das mit so Teamer-Geschichten aussieht? Seminare leiten? Jedenfalls irgendwie wieder in diesen Freiwilligen- und Internationale-Begegnungen-Kram einsteigen...
Auch toll war die Atmosphäre beim Reisen. Überall trifft man andere Backpacker, die Züge sind voller Interrailer und man macht sich gar nichts draus, dass man dreckig ist und stinkt – die anderen sind auch nicht besser, und die Züge erst recht nicht. Erst, als ich in diesem geschniegelten österreichischen Zug saß, habe ich mich unwohl gefühlt... Sowohl Zug als auch Leute um mich herum waren so ordentlich und geleckt und steril! Das gilt ja schon für den Aufbau des Zuges... Während man in deutschen (und österreichischen) Zügen immer in Zweierreihen hintereinander sitzt und stumpf vor sich hin starrt, saßen wir überall unterwegs in staubigen Plüsch-Sechser-Abteilen, in denen man irgendwie viel zwangloser und automatischer ins Gespräch kommt. Alles viel weniger luxuriös, dafür viel natürlicher und kommunikativer.

Und wieder einmal typisch Dinah: Ich habe aus diesem Urlaub jede Menge zu Denken mitgebracht. (Als ob mein Kopf nicht schon so genug am Rattern wäre...)
Allem voran hat mich tatsächlich dieses Georgische-Jungs-Deutsche-Mädchen-Ding beschäftigt. Und die Frage nach der Gültigkeit verschiedener Werte.
Wir sind in einer Gesellschaft großgeworden, in der es für uns selbstverständlich ist, dass wir als Frauen auch unsere Rechte haben, dass Frauen nicht alleine fürs Putzen und Kochen zuständig sind und dass wir über unser Leben selber bestimmen. Das sind ja auch gute Werte, die ich gar nicht in Frage stellen will.
Aber jetzt kommen wir in ein Land, in dem das Gesellschaftsbild nun mal ein bisschen anders ist. In dem der Konsens über das Rollenbild und das Rollenverhältnis nicht der gleiche ist, wie bei uns. Und in so einem Workcamp trifft das nun mal auf einander. Zum Beispiel bei der Frage, wer die supereklige Toilette putzt. Und ich meine ja nicht, dass wir uns nun den Vorstellungen der Jungs, das sei nun mal Frauensache, unterwerfen sollen. Ich denke nur, man muss dabei mehrere Sachen im Hinterkopf haben.
Erstens ist das nichts, was die Jungs „böse gemeint“ haben oder was gegen uns gerichtet war. So sind die aufgewachsen, das kennen sie so. Ich glaube, Iveri und Beka zumindest haben in ihrem Leben noch nie einen Spülschwamm in der Hand gehalten (sonst wäre Iveri sicher nicht auf die Idee gekommen, das Geschirr mit Chlor zu spülen...)
Und wie kommen wir, die wir immer von Toleranz und Respekt anderen Kulturen gegenüber reden eigentlich dazu, in so ein Camp zu kommen und zu erwarten, dass unsere Wert automatisch die für alle gültigen sein sollen? Klar sollen wir unsere Werte nicht einfach verwerfen. Aber wir sollten mal überlegen, was wir eigentlich von den anderen verlangen, und ob wir ihnen dafür auch etwas anbieten. Sie sollen gefälligst unsere Werte und unsere Gesellschaft akzeptieren und uns repsektieren – aber tun wir das mit ihnen auch?`Versuchen wir überhaupt, zu verstehen, was sie warum tun und wie das in ihrer Gesellschaft für gewöhnlich so aussieht? Oder nehmen wir das ganze sofort als persönlichen Angriff, als gegen uns als Person gerichtet auf? Als Beleidigung?
Der springende Punkt ist denke ich, zu verstehen, dass es nicht um gut und böse geht. Und dass hier zwar zwei sehr gegensätzliche Anschauungen aufeinandertreffen, dass aber keine der beiden Seiten von vorn herein die „richtige“ oder die „allgemein gültige“ ist. Man muss halt miteinander reden. Sich seine Standpunkte erklären. Der eine erzählt, wie es bei ihm ist, und der andere genau so. Und dann kann man im Dialog einen Weg finden, wie man miteinander umgeht. Aber den eigenen Weg jemand anderem aufzwingen oder vorsetzen? Das ist in meinen Augen nicht nur der falsche Weg, das wird mit Sicherheit auch nicht funktionieren. Damit programmiert man den Widerstand ja geradezu vor.
Alles Dinge, die sich gut im Kopf denken lassen und die in der Umsetzung dann doch so schwer sind... Wenn man dann diese Jungs vor sich hat, eigentlich soll gerade das ganze Camp vor der Abreise aufgeräumt und geputzt werden, und die Drei sitzen in der Hängematte und drehen Däumchen... Ruuuhig, durchatmen, nicht explodieren... „Ihr Idioten!!!“
Aber wie sagt schon dieses jugoslawische Sprichwort:
„Der Mensch lernt, solange er lebt, und stirbt doch unwissend.“ (danke, Google!)
Aber so lange er sich Mühe gibt, wird das Unwissen vielleicht doch immer noch ein bisschen kleiner...


Und wer noch mehr sehen will:

Summer 2011 - Georgia, but not only