Ich habe hier in Istanbul zwei junge Leute aus Syrien getroffen. Und was die von zuhause erzählen, ist mehr als schwer mit anzuhören. Ich habe mich mit beiden getroffen. Eigentlich sollte das ein Artikel für die Zeitung werden, aber dann kam ich nicht dazu, das schnell genug fertigzumachen... was mich sehr ärgert, weil ich es sehr wichtig gefunden hätte. Ich hab es aber jetzt endlich fertig geschrieben und will es euch trotzdem zeigen. Was ihr hier lest, geht auf Gespräche zurück, die ich im März geführt habe. Seitdem ist natürlich viel passiert, was hier nicht mit eingeflossen ist. Ich danke Maya und Mothana noch einmal sehr herzlich und entschuldige mich dafür, so lange gebraucht zu haben.
Der
29-jährige Mothana sitzt in einem Café in der Istanbuler Innenstadt. Sein
Heimatland Syrien, in dem der ehemalige Generalsekretär der UN und jetzige
Sondervermittler für Syrien gerade vor einem Bürgerkrieg warnt, hat er im Juli 2011 verlassen müssen. Es war die
einzige Möglichkeit für ihn, nicht zum Militärdienst eingezogen zu werden. „Die
letzten sieben Jahre habe ich versteckt gelebt“, sagt Mothana mit bedrücktem
Gesicht. In Syrien gibt es die so genannte „Verweigerung aus Gewissensgründen“
nicht. Man kann aber seinen Militärdienst aufschieben, indem man studiert und
die entsprechenden Nachweise seiner Universität vorlegt. Das hat Mothana seit
dem Jahr 2000 getan. Erst studierte er Sport, dann Agrarwirtschaft. Doch als er
die Universität wechselte, um IT zu studieren, kam es zu Problemen. „Sie
wollten nicht akzeptieren, dass die Bescheinigung nun von einer anderen
Universität kam.“ Die syrischen Behörden wollten, dass Mothana seinen
Militärdienst antritt. Doch das kam für ihn nicht in Frage. „Ich glaube nicht
an die Idee des Militärs. Und ich will mein Studium zu Ende bringen.“ Also
tauchte er ab. „Das war alles, was ich tun konnte. Ich musste mich verstecken.
Das Land konnte ich nicht verlassen.“ Denn als volljähriger Mann kann man in
Syrien ohne ein Dokument von den Behörden, dass entweder bestätigt, dass man
seinen Militärdienst absolviert hat, oder, dass man dies noch tun wird, keinen
Pass bekommen, erklärt Mothana. Und da die Behörden ihm dieses Dokument nicht
mehr ausstellten, entschied er, sich zu verstecken. „Natürlich war das eine
harte Entscheidung. Du wirst eine unsichtbare Person! In Syrien brauchst du
dieses Dokument um zu studieren, um zu heiraten, für alles.“ Zunächst wohnte er
in der Wohnung seines Bruders. Dann lebte er in einer Wohnung, deren Vertrag
auf den Namen eines Freundes lief. Im November 2010 hat Mothana es schließlich
nicht mehr ausgehalten. „Ich wollte aufgeben. Ich wollte zum Militär gehen uns
sagen: Hier bin ich, ich mache meinem
Militärdienst! Und dann geschah ein Wunder: Der Beamte sah einen 28hährigen,
gebildeten und erfahrenen jungen Mann vor sich. Und er drückte mir ein Papier
mit einem Stempel in die Hand und sagte, ich hätte 9 Monate, um das Land zu
verlassen.“ So kam Mothana vor fast einem Jahr in die Türkei. Aber da er nicht
nach Syrien zurückkehren kann, um ein Studentenvisum zu beantragen, kann er
sein Studium nicht fortsetzen.
Die
andauernden Kämpfe in Syrien sind für den jungen Syrer eine Qual. Als sich in
Tunesien im Dezember 2010 der Gemüsehändler
Mohamed Bouazizi selbst verbrannte, dachte Mothana nicht, dass daraus eine
Revolution werden würde. Aber es geschah, und die Revolution breitete sich nach
Ägypten aus. „Ich war so froh für sie. In diesen Ländern gab es eine
zweigeteilte Gesellschaft, keine Mittelklasse, und mein Land entwickelte sich
in die selbe Richtung. Ich wünsche mir die selbe Revolution für Syrien.“ Hier,
in gemütlicher Café-Atmosphäre und mit einem Glas starkem türkischem Schwarztee
vor sich, berichtet Mothana, wie man in Syrien fast niemandem wirklich
vertrauen konnte. Immer die Angst, der Gegenüber sei ein Spion. „Selbst vor
meinen Freunden konnte ich nicht alles sagen.“ Und Worte konnten zu Beginn der
Unruhen in Syrien tatsächlich dramatische Folgen haben. Mothana berichtet über
die Geschehnisse in der südsyrischen Stadt Daraa. Kinder schrieben Forderungen
nach dem Sturz des Regimes an Wände, wurden daraufhin verhaftet und gefoltert.
„Sie haben den Kindern die Fingernägel ausgerissen. Und zu den Vätern, die ihre
Kinder zurückforderten, haben die Polizisten gesagt: ‚Nein, macht lieber neue
Kinder. Und wenn ihr es nicht könnt, machen wir das für euch.’ Ich habe das
nicht selbst gehört, aber mein Bruder und viele meiner Freunde dienten in
Daraa.“
Folter ist Mothanas Berichten
zufolge gängige Praxis in syrischen Gefängnissen. „Es ist normal für sie,
Gefangenen die Nägel auszureißen. Im Gefängnis siehst du keine Sonne. Sie
benutzen Elektroschocks zur Bestrafung und Verletzte werden nicht behandelt.
Sie müssen ihre Wunden selbst mit Nadel und Faden in ihren Zellen nähen. Wenn
du aus politischen Gründen im Gefängnis bist, nennen wir das ‚verhaftet hinter
der Sonne’. Keiner weiß, wo du bist, und keiner kann nach dir fragen.„
Ähnliches weiß die 23-jährige
Maya aus Damaskus zu berichten. Sie kam nach Istanbul, um ihren familiären
Wurzeln nachzuspüren und zu arbeiten. Das war Anfang 2012. Von übervollen
Gefängnissen spricht sie und davon, dass Menschen nach einigen Wochen entlassen
werden, weil Platz für neue Gefangene gemacht werden muss. Manche Gefangenen
werden aber auch einfach in ihren Zellen vergessen. „Die Zellen sind so klein
und so voll, da ist kein Platz, um einen Finger zu rühren. Und es gibt keine
Toiletten. Freunde von mir haben erzählt, dass die Menschen dort 50cm hoch im
urin stehen... Kannst du dir das vorstellen?“ Maya spricht von
Vergewaltigungen, von körperlicher Gewalt auf mehr als erniedrigende Art und
Weise und von Elektroschocks, die quasi schon zur Tagesordnung gehören. „Sie
foltern auf allen Ebenen, physisch, psychologisch, sogar kulturell...“
Dass er jetzt in der Türkei
ist, macht Mothana hilflos. In Syrien auf der Straße zu demonstrieren, kann
dazu führen, dass man nicht mehr nach Hause kommt. „Aber ich kann nichts tun.
Ich bin hier in Istanbul zu Demonstrationen gegangen, aber ich kann nicht nach
Syrien zurück. Sie würden mich verhaften. Ich will aber meine Freiheit
einfordern! Ich will mich nicht kontrollieren lassen.“ So bleibt Mothana nichts
anderes übrig, als die westlichen Medien und die der Opposition zu verfolgen.
Aber was davon wirklich der Wahrheit entspricht, ist schwer zu sagen. Er ist
enttäuscht. „Die Medien sind so wichtig, aber Journalisten dürfen nicht frei
berichten. Und die illegalen Journalisten, die es doch getan haben, sind jetzt
tot. Die Regierung versteckt, was passiert. Sie zeigt leere, friedliche
Straßen. Aber ich spreche jeden Tag mit meiner Familie. Neulich, als ich mit
meiner Schwester telefoniert habe, konnte ich im Hintergrund die Schüsse
hören.“
Und dann berichtet er von
einem Ereignis, dass sich vor einigen Monaten in seiner Heimatstadt Aleppo
ereignete und dass einen an die aktuellen Geschehnisse dort erinnert. Ein
Zahnmedizinstudent, Freund eines Freundes von Mothana, wurde von der Armee
getötet. Daraufhin kam es zu Protesten, tausende Studenten demonstrierten und
forderten ihre Freiheit. Das Militär rückte ins Universitätsgebäude ein,
zerstörte Klassenräume und ging gewaltsam gegen die Protestierenden vor. „Sie
verhafteten zwölf Studenten und prügelten auf dem gesamten Weg zum Gefängnis
auf sie ein. Aber nur elf Studenten kamen auch dort an. Einen verprügelten sie
so brutal, dass er bewusstlos wurde. Sie hielten ihn für tot und warfen ihn
einfach vor das Al-Razi Krankenhaus.“ Dort wurde er gefunden. Mothana
berichtet, wie der junge Mann nach dreistündiger Operation wegen Hirnblutungen
nun in eben diesem Krankenhaus im Koma liegt. Was aus den anderen elf
Demonstranten wurde, kann er nicht sagen.
Im Internet kursieren viele
Videos, die das brutale Vorgehen des Militärs gegen die syrische Bevölkerung
zeigen. Doch ob diese Videos die Wahrheit darstellen, oder ob sie inszeniert
sind, wird heiß diskutiert. Immer wieder gibt es Vorwürfe, die Freie Syrische
Armee würde gefälschtes Material in Umlauf bringen und so die
Weltöffentlichkeit täuschen. Mothana ist entrüstet über diese Zweifel aus
Ländern wie Deutschland. „Zehntausende wurden umgebracht, und es sterben noch
immer Menschen. Als es hieß, Bin Laden sei tot, hat man das geglaubt. Aber für
das, was in Syrien passiert, will Europa immer noch Beweise. Während die Politiker
auf ihren Stühlen sitzen und reden, werden auf der Straße Menschen getötet. Sie
warten, bis jeder tot ist, bevor sie es glauben.“
„Kannst du dir vorstellen,
dass es jetzt schon mehr als ein Jahr ist?“ fragt Maya. Auch sie kann nur
schwer eine Situation akzeptieren, in der ein Präsident derart gegen seine
eigene Bevölkerung vorgeht. Und wie lange das Töten noch so weitergehen kann,
weiß sie nicht. „Ich will Syrien nicht total zerstört sehen, bis er geht.“ Dass
Assad gehen wird, ist für sie klar – aber wann? „Für die Familien in Syrien
wird nichts mehr so sein wie zuvor.“
Was die Zukunft für Syrien
bringen wird, kann auch Mothana nicht sagen. Er wünscht sich eine wirklich
demokratische Regierung, in der die vielen Religionen und ethnischen Gruppen
Syriens zusammenleben können. Wo junge Leute das Land nicht mehr verlassen
müssen, um ein Leben nach ihren Vorstellungen leben zu können. „Ich wünsche
mir, dass wir Menschen die Menschlichkeit respektieren.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen